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Tips & Clips:

April 2024

Das Russland Haus

Unseren östlichen Nachbarn zu charakterisieren, ist nicht nur schwierig, sondern beinahe aussichtslos. Aber auch der aus Österreich stammende Ratschlag, eine schwierige Lage „nicht einmal zu ignorieren“, stößt leider ins Leere, weil die Kampfhandlungen in der Ukraine ja auch für uns von besonderer Bedeutung sind.
Vor einigen Jahren fand der MGM-Film: „Das Russland Haus“ mit den bemerkenswerten Darstellern Sean Connery, Michelle Pfeiffer und Klaus Maria Brandauer viel Aufmerksamkeit.

Er spielt gegen Ende der 1980er Jahre, genau zu der Zeit als ein deutscher Sportflieger auf der Moskwa-Brücke (nahe Kreml und Rotem Platz) zum Erstaunen der Weltöffentlichkeit  völlig unbeschadet mit einer Cessna 172 P landete. Als Folge wurden in Russland über 300 Spitzenmilitärs entlassen.

Jedenfalls behandelt der erwähnte MGM-Film einen hochrangigen russischen Physiker namens Dante (K. M. Brandauer), der dem britischen Geheimdienst zwecks Veröffentlichung brisante Informationen zuspielen möchte, die darauf hinauslaufen, dass die russische Militärmaschinerie nach seiner Darstellung weitgehend unbrauchbar und nur Schrott sei. Der britische Verleger Barley (S. Connery), welcher nicht nur die russische Literatur, sondern mehr und mehr auch die Übermittlerin von Dantes Nachrichten Katya (M. Pfeiffer) liebt, reist auf Verlangen der Briten wiederholt nach Russland, um mehr heraus zu bekommen. Die Unsicherheit seines Auftrags wird dadurch unterstrichen, dass sich die Frage stellt, ob eine Veröffentlichung von Dantes Informationen überhaupt sinnvoll sei, da auch die westliche Rüstungsindustrie hierdurch Schaden nehmen würde nach dem Motto: Wozu weitere Anstrengungen unternehmen, wenn man gegen einen praktisch nicht vorhandenen Gegner aufrüstet? Diese Frage ist berechtigt und wird filmisch dadurch aufgelöst, indem Dante vom russischen Geheimdienst enttarnt wird und Barley sich nach erzwungener Einigung mit dem russischen Geheimdienst zum Happy End mit Katya in Lissabon trifft.

Drehbuch und Handlung des Films sind in der Fragestellung reizvoll und nicht ohne Ironie (auch wenn das Happy End zu kitschig geraten ist). Dennoch spießt der Film die Zwanghaftigkeit der militärischen Rüstung auf allen Seiten sehr treffend auf.

Was hat das mit der aktuellen Situation 2024 zu tun? Es konterkariert auf besondere Weise den Wahnsinn, der in der Ukraine und Russland passiert. Angefangen von dem misslungenen russischen Einmarsch vor 2 Jahren,über die folgenden Verbrechen in Butscha, gefolgt von der brutalen Misshandlung aller Oppositionellen, dem Absturz des Söldnertruppen-Anführers Prigoschin und dem neuesten Wahlergebnis von 87 % zu Gunsten des Präsidenten, welches doch nur eine erzwungene Meinung darstellt und nach gesundem Menschenverstand bestenfalls die Gleichgültigkeit der Wähler ausdrückt nach dem Motto: Hauptsache unsere Rente wird nicht schon wieder komplett versoffen, aber vielleicht auch: Schön, wenn wir wieder ein wenig stolz auf Mütterchen Russland sein können.

Wie lange wird das überaus lohnende Geschäft mit der Angst nun noch weiterbetrieben? Wahrscheinlich hatte Alexej Nawalny recht, als er sagte: „Das Einzige wovor wir uns fürchten müssen, ist unsere eigene Angst.“ Er konnte dies aus eigener Erfahrung sicherlich gut beurteilen.

 

März 2024

Deutscher Lesepreis 2024

Laut PISA-Studie hat sich die Lesekompetenz unserer Schüler gegenüber den Vorjahren deutlich verschlechtert, was mit den Unterrichtsausfällen in den Pandemiejahren, dem verstärkten Gebrauch von Socialmedia-Plattformen und der Zuwanderung von Migranten erklärt wird.

Umso wichtiger die Würdigung staatlicher und privater Bemühungen, weiterhin und verstärkt Interesse für das Lesen zu wecken. Unterstützt wird dies durch die erneute Vergabe des Deutschen Lesepreises 2024 vor einigen Tagen in Berlin, der von der Commerzbank-Stiftung begleitet wird.

Gewinnerin ist in diesem Jahr die „Dragqueen“ Olivia Jones, die mit Lesedarbietungen auch an Schulen auftritt und Schüler und Schülerinnen in ihren Bann zieht. Ihr Auftritt kommt einem Minikarneval aus Rio de Janeiro gleich, und für ihre Kostümierung benötigt sie mehr als 2 Stunden.

 Hinter ihrem Künstlernamen Olivia Jones verbirgt sich jedoch ein Mann (?) namens Oliver Knöbel aus Springe am Deister, der sich dieser Rolle „mit Haut und Haar“ verschrieben hat. Er tritt häufig auch auf dem Kiez in St. Pauli auf und hat im Fernsehen und auf den Socialmedia-Kanälen eine beachtliche Berühmtheit erreicht.

Leider wurde die Nachricht von der Preisverleihung 2024 nur regional verbreitet, zum Beispiel im NDR. Sie hätte auch verdient gehabt, bei ARD und ZDF - anstelle häufig nerviger Kriegs-, Streik- und Schlechtwetter-Nachrichten - zu erscheinen. Schließlich soll Schule auch ein bisschen Spaß machen, dann könnte die Lernbereitschaft unserer Jungs und Mädchen einmal wieder an Fahrt gewinnen.

 

Februar 2024

Über die Trägheit

Den Begriff der Trägheit kennen wir in mehrfacher Hinsicht: Zunächst als eine Eigenschaft von  Masse, die ihren Bewegungs- oder Ruhezustand nur unter dem Einfluss einer Kraft ändert. Multipliziert man die jeweilige Masse mit der Gravitationskonstanten unserer Erde (g = 9,81 N/kg) ergibt sich die auf die Masse einwirkende Kraft. Diese Gesetzmäßigkeit der Physik wurde bereits um 1700 herum von dem englischen Universalgelehrten Isaac Newton beschrieben.

Masse und Trägheit sind aber nicht nur Begriffe der Physik. Sie begegnen uns vor allem, wenn wir ermüdet oder einfach „nicht gut drauf“ sind.

So steht in vielen Fällen Trägheit gleichbedeutend für Beharrungsvermögen und Unbeweglichkeit und ist hier keine physikalische, sondern eine menschliche Kategorie. Sie kann sich bis zur Untätigkeit und totalen Gleichgültigkeit ausweiten.

Ist menschliche Trägheit nun gut oder schlecht? Die Antwort hierauf ist nicht einfach, zumal wir uns wachsender Informationsflut und zunehmendem Werbemüll gegenüber sehen, die uns häufig genug nerven. Dann muss unser Selbsterhaltungstrieb ein Stopp setzen. Das heißt, wir können nicht auf jeden Anstoß positiv reagieren, sondern müssen eine  für uns erträgliche  Auswahl  treffen und nehmen zunächst eine Abwehrhaltung ein oder versuchen, wenn es um ein Problem geht, dieses einfach auszusitzen.

Dennoch gilt es - auch wenn das Ergebnis unsicher ist - abzuwägen: Welchen Anreiz gibt es, wie hoch ist mein Einsatz, welches Risiko gehe ich ein und was passiert, wenn ich gar nichts unternehme? Dabei ist eines klar: Je komfortabler meine aktuelle Situation ist, umso weniger bin ich bereit, ein zusätzliches Risiko einzugehen. Sicherlich ist es auch eine Frage der individuellen Mentalität, wie stark man einer Tradition verhaftet ist, also eher auf die Vergangenheit setzt oder aber sich für neue Vorschläge und Anregungen interessiert, die das Potenzial für Verbesserungen enthalten.

Jedenfalls wird man früher oder später feststellen, dass Trägheit zunächst eine vollkommen natürliche Eigenschaft ist. Sie sorgt schließlich dafür, dass ein Stabhochspringer nicht zu hoch hinausfliegt, sondern sich ganz auf Mutter Erde verlassen kann. Dies sollte aber keineswegs zu dem Umkehrschluss führen, dass er das Springen auch ganz unterlassen kann, weil er ja sowieso auf den Boden zurückfällt.

Schauen wir uns doch in Ruhe unsere Möglichkeiten an, denn zu bewegen und zu verbessern gibt es enorm viel. Und wenn wir uns nicht kontrolliert und rechtzeitig bewegen, dann werden wir selbst bewegt.

Trägheit allein wird die sich anbahnenden Veränderungen keineswegs aufhalten. Wir müssen uns daher weiter in besseren Sprüngen üben. Schon die alten Lateiner sagten, wenn es darauf ankam: Hic Rhodos – hic salta.

 

Januar 2024

Toughness

Im Englischen gibt es ein perfektes Wort, welches Durchhaltevermögen, Zähigkeit aber auch Widerborstigkeit umfasst: Toughness. Fast möchte man es für die deutsche Sprache vereinnahmen: „taff, taffer, am taffsten“.

Die Eigenschaft ist angesichts zahlreicher krisenhafter Entwicklungen heute gefragter denn je.
Ohne sie könnten Krankenpfleger, Theaterleute und viele weitere Helfer in der Ukraine und an anderen Orten der Welt nicht weiterarbeiten, geschweige denn überleben. Gleiches gilt für politische Häftlinge in Autokratien und Diktaturen.

In der Natur gibt es weitere augenfällige Beispiele: Der Löwenzahn mit seinen ungeahnt langen Pfahlwurzeln ebenso wie die Korkeiche, die wegen Ihrer besonderen Isolationsschicht heftigsten Bränden widersteht. Feuerameisen sind sogar in der Lage, bei Überflutung gemeinsam mit vielen Artgenossen ein Floß zu bauen, welches die Königin schützt und ein Überleben ermöglicht.

Am 2. Weihnachtstag 2023 ist nun mit 81 Jahren Wolfgang Schäuble gestorben. Er war bei uns unter anderem Finanzminister in einer für Europa äußerst brenzligen Lage. Für ihn treffen die obigen Beschreibungen weitgehend zu. Darüber hinaus lässt sein Kommentar zur klassischen Musik aufhorchen:

„Große Musik ist universell, sie kann trösten und erheben und vor allem: Menschen miteinander verbinden“.

Die Berliner Philharmonie hat er häufig besucht.

 

Dezember 2023

Advent, Weihnachten

Advent, Weihnachten: Zeit des Lichts bei zunehmender Dunkelheit. Zeit der Hoffnung im Angesicht bitterer Tatsachen.

„Wir haben nur diese eine Erde“, so lautete die Botschaft von Alexander Gerst als er zusammen mit anderen Astronauten unseren blauen Planeten beobachtete.

Wenn man hier allerdings die kursierenden Nachrichten verfolgt, stellt man fest, dass vieles so „fest verdrahtet“ ist, dass ein Umsteuern zwar nicht ausgeschlossen aber doch nur mit sehr hohem Aufwand durchzusetzen ist.

Nennen wir die Übel unserer neuzeitlichen Pandora beim Namen: Armut, Krieg und Klimaprobleme weltweit. Dazu noch: Abstumpfung, Erschöpfung und Gleichgültigkeit.

Ja, ist denn der Übel gar kein Ende? Fast scheint es so: Endlose Autostaus, unpünktliche Bahn, Finanzlücken und dazu noch unser Fußball. Seit 1954 der Stolz unserer Nation. Und nun?

Aber, aber schauen wir doch genauer hin, bleiben beim Sport und freuen uns über unsere
Jungs vom U 17-Nachwuchs: Mal eben Weltmeister! Oder unsere Fußballfrauen: 3:0 - soeben gegen Dänemark gewonnen. Oder unsere Basketballer: Erstmals Weltmeister! Das war doch sogar in diesem Jahr, nämlich im September 2023! Schon vergessen? Oder nur überdeckt und vor lauter Trübsal in die Ecke geschoben?

Nein, es gibt wirklich auch viel Positives. Aber es verschwindet allzu leicht in der Abfolge unfroher Nachrichten, überflüssiger Kaufanreize und scheinbarer Notwendigkeiten. Da bleibt wenig Raum für Wichtigeres.

Wachstum um jeden Preis? Nein, wenn der Preis zu hoch ist und uns trotz der Fortschritte unserer automatisierten und digitalisierten Arbeitswelt überfordert. Was keineswegs heißt, den technischen Fortschritt abzulehnen. Aber wir sind zu langsam, wenn es wichtig wird. Denn die moderne Technologie mit ihren „grünen“ Energiequellen ist ja eine berechtigte Hoffnung. Das wussten schon die alten Windmüller und Seefahrer. Wind und Sonne gibt es (fast) zum Nulltarif. Und dass man damit sogar Geld verdienen kann, spricht sich langsam herum.

Kommen wir also zur Besinnung. Advent und Weihnachten sind dafür eine prima Gelegenheit. Schauen wir gelassen auf unser noch unbemaltes Bild und greifen zu den bewährten Farbtöpfen oder versuchen, ein Porträt so naturgetreu wie möglich zu malen. Anfangs wird es nicht klappen, aber dann wird es immer besser, bis am Ende die gemalte Person sagt: “Was, soll das etwa ich sein?“.

Die Aussage: „Ich kann doch nicht malen“ sollten wir getrost beiseite schieben. Denn: Die Kunst liegt in der ständigen Verbesserung. Oder wie Randy Newman, der geniale Musiker und Oscar-Preisträger aus L.A. (er wurde kürzlich 80 Jahre alt) einmal sagte:

Kunst entsteht nur dort, wo sie falsch verstanden wird.

 

November 2023

Laubkonzert

In einer Tageszeitung fand sich vor einigen Jahren ein kurzes Gedicht über die dritte Jahreszeit, welches den Herbst und den Menschen im Herbst auf kurze, geradezu lakonische Weise beschreibt. Die Quelle samt Verfasser ist leider nicht mehr auffindbar. Aber das Gedicht ist in seiner Kürze so einprägsam, dass es nicht in Vergessenheit geriet. Es lautet folgendermaßen:

„Es ist wieder Laubkonzert,
in Braun spielt das Orchester,
dazwischen tönt es Gelb und Rot,
eine Wolke tuscht in Not.
Ich zieh die Jacke fester.“

Eine detaillierte Interpretation soll hier nicht angestellt werden. Aber klar ist, dass der schöne „Indian Summer“ durch das aufkommende „Schietwetter“ beeinträchtigt wird und es auch weiterhin ungemütlich bleiben kann. Der Hinweis auf wetterfeste Ausrüstung ist daher mehr als berechtigt.

Hoffen wir jedoch, dass die Sonne schon bald wieder höher steigen und - trotz Klimawandels - ihre gewohnte Bahn ziehen wird.

 

Oktober 2023

Loriot 100

Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, Künstlername Loriot, zu Deutsch: Pirol, er wäre in einigen Tagen 100 Jahre alt geworden !!!

Zwar ist sein eigentlicher Geburtstag erst am 12. November, aber angekündigt und ein bisschen gefeiert wird jetzt schon. Und das lässt uns als Fangemeinde natürlich nicht kalt.

Er war ja zunächst Maler, Grafiker und Cartoonist bevor er in die Topliga des deutschen Humors aufstieg. Kein anderer hat es bisher mit derartiger Leichtigkeit so weit gebracht und so perfekt verstanden, die deutsche Bürgerseele auf die Schippe zu nehmen und unsere allgemein verbreiteten Kommunikationsstörungen zu thematisieren.

Eigentlich totaler Quatsch, ihn überhaupt zu zitieren, denn die meisten Leute kennen ja seine hintergründigen Abhandlungen, aber eine kleine Auswahl soll hier dennoch in Erinnerung gerufen werden. Zum Beispiel mit dem Satz aus den „Herren im Bad“, wo Müller-Lüdenscheidt auf dem Wasserstöpsel der Badewanne sitzend zu seinem Widerpart Dr. Klöbner sagt: „Sie lassen sofort die Ente zu Wasser“. Oder „Das schiefe Bild“ mit der totalen Verwüstung der Einrichtung, oder „Der Lottogewinner“ mit dem beim Interview gänzlich überforderten Erwin Lindemann in der Hauptrolle. Inzwischen alles Klassiker und in der Pointe ähnlich dem Kultsketch: „Dinner for One“, der allerdings nur ein Unikat geblieben ist.

Aber zurück zu Loriot: Bereits als 17-jähriger spielte er Komparsenrollen in der Oper, im Schauspiel und im Film. Gefragt, ob er im Krieg ein guter Soldat gewesen sei, gab er zur Antwort: „Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende.“

Als der Krieg zu Ende war, zeichnete er Persiflagen für Benimmfibeln und verunsicherte   seine Leser immer mehr mit der Perfektionierung des Regelverstoßes, was damals noch neu war und nach und nach zum typischen Loriot-Merkmal wurde. Dabei wurden auch die Knollennasen sein besonderes Markenzeichen. Dann kam auch das Fernsehen hinzu, und neben dem Genre Zeichentrick machte er zunehmend Spielfilme mit der unvergleichlichen Evelyn Hamann „Bitte sagen Sie jetzt nichts, Hildegard“, in: „Die Nudel“.

Wenn man bei Wikipedia nachschaut, findet man unglaublich viele Hinweise und Notierungen über die Lebensleistung dieses einmaligen Künstlers. Ein Bild seiner Grabstelle in Berlin Charlottenburg zeigt eine riesige Ansammlung kleiner, gelber Plastikenten in Erinnerung an seine Kultfiguren Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner in der Badewanne.

Das Frankfurter Caricatura Museum zeigt nun mit etwa 700 Objekten aus Loriots Leben und Werk eine umfassende Ausstellung bis zum 25.Februar 2024.

 

September 2023

Modedesign in Freetown

Freetown ist die Hauptstadt von Sierra Leone, einem kleinen westafrikanischen Land, das zu den ärmsten der Welt gehört. Das durchschnittliche Einkommen liegt bei weniger als 1 US-Dollar pro Tag. Die Bevölkerung besteht mit 7,5 Mio Einwohnern aus vielen Ethnien, die sich zu einem erheblichen Teil aus ehemals zurückgekehrten Sklaven rekrutiert. Etwa 80 % der Bevölkerung sind Muslime.

Die ehemalige britische Kronkolonie wurde 1961 unabhängig, verfügt über reiche Bodenschätze, wie Diamanten und Metalle, an denen die Bevölkerung jedoch - wie in so vielen afrikanischen Staaten - kaum Anteil hat. In den 90iger Jahren herrschte ein blutiger Bürgerkrieg, der erst 2002 beendet werden konnte. Immerhin lobte der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon im Jahr 2010 das Land für seinen erfolgreichen Wiederaufbau.

Sehr beliebt sind in Sierra Leone: Musik, Tanz, Theater, Holzschnitzereien und Textilkunst.

Über Textilkunst berichtete der Fernsehsender arte kürzlich mit einer sehenswerten Dokumentation: „Träume aus Stoff - Modemacherinnen in Freetown, Sierra Leone“: Die Lehrerin Mary-Ann Kaikai bietet dortigen Frauen eine Ausbildung namens „Gara Tie Dye“ zur Herstellung von Batikstoffen an. Eine ihrer Schülerinnen wird vorgestellt: Isatu Conteh. Der Film zeigt ausführlich und mit einem guten Schuss Empathie ihre farbenprächtige Kollektion und ihre begeisterten Trägerinnen. 

Ein bemerkenswertes, wunderschönes Beispiel, wie manche afrikanische Frauen ihr Schicksal in die Hand nehmen, mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen und Anlass zur Hoffnung geben, dass sich ihre schönen Künste nach Jahren heftiger Kriegshandlungen weiter verbreiten können.

 

August 2023

Die Facetten des Wasserstoffs

Im vergangenen Monat Juli 2023 jährte sich die Veröffentlichung der ersten wissenschaftlichen Bilder des James Webb Weltraumteleskops (JWST). Darunter befindet sich ein ganz phantastisches Bild. Es entstand aus den mittels Analysesoftware bearbeiteten Wellenlängen der vom JWST aufgezeichneten Signale und erinnert an die Unterwasserwelt eines Korallenriffs mit Quallen, Seesternen und Fischen und könnte ebenso gut auch von einem expressionistischen Maler stammen.

Die rote Farbe auf dem Bild kennzeichnet den Wasserstoff, das im Universum häufigste Element.

Dass er sich auf der Erde mit zwei Atomen in so gewaltigen Mengen mit Sauerstoff zu Wasser (H2O) - diesem für uns so unverzichtbaren Stoff - verbunden hat, verdanken wir den chemischen und physikalischen Abläufen vor einigen Milliarden Jahren.

Dass Wasserstoff aber seit einiger Zeit auch unser großer Hoffnungsträger bei der Bekämpfung der aktuellen Klimaerwärmung ist, verdanken wir der keineswegs neuen Erkenntnis, dass er nach seiner Entzündung unter Abgabe von Wärmeenergie zu reinem, daher umweltfreundlichem Wasser verbrennt.

Schon der dänische Märchenerzähler H.C. Andersen hat sich in seiner Geschichte „Der Wassertropfen“ mit dem Thema befasst, indem er zwei Zauberer einen Wassertropfen durch ein Vergrößerungsglas anschauen lässt. Dort fragt der eine Zauberer seinen Kollegen, was das wohl sein könne. Jener meint, das sei wohl eine große Stadt, die von gefräßigen Tieren bevölkert sei.

Der andere kennt des Rätsels Lösung. Seine einfache Antwort lautet: „Es ist Grabenwasser!“

 

Juli 2023

Musik und Raumform

Aus Geräuschen werden Töne, aus Tönen werden Klänge, aus Klängen wird Musik.

Aus vielen Punkten entsteht die Linie, aus vielen Linien die Fläche, aus vielen Flächen die Raumform.

Wenn Musik und Raumform zu einander kommen, kann bahnbrechend Neues entstehen.

Im Jahr 1970 wurden auf der Expo in Osaka/Japan neuartige Klangerlebnisse innerhalb eines kugelförmigen Raumes (Architekt: Fritz Bornemann) geschaffen. Dort wurden Musikstücke von Bach, Beethoven und Stockhausen unter Einsatz der damals neuen elektronischen Technik gespielt.

Die Idee dabei war, das In-sich-Hineinhören zu ermöglichen und ohne äußere Einflüsse einmal abschalten zu können.

Ein ähnliches Musikevent innerhalb einer Raumkugel mit 20 m Durchmesser für bis zu 250 Besucher findet gerade vom 09/06 bis 07/07/2023 in den Shed-Hallen von Manhattan/New York statt: Sonic Sphere nennt sich das neu arrangierte Kunsterlebnis mit überraschenden Lichteffekten, entworfen und begleitet von dem amerikanischen Techno-Produzenten Carl Craig, der koreanischen DJ Kathy Yaeji Lee, dem New Yorker Komponisten Steve Reich und der Rock Band: The xx aus London.

Unter anderem wird dort der deutsche Konzertpianist Igor Levit das Klavierstück „Palais de Mari“ des US-Komponisten Morton Feldman vortragen.

Die Musikaktivistin Madame Gandhi („The Future is Female“) und andere Interpreten ergänzen das Programm mit experimenteller Musik.

Teilnehmer und Kommentatoren werden berichten, ob es sich um ein bloßes Remake oder den Beginn einer neuen Kunstrichtung handelte.

 

Juni 2023

Tina Turner

Dieser Tage wurde berichtet, dass Tina Turner in Zürich im Alter von 83 Jahren gestorben sei.

Ihre beeindruckende Karriere als langjährige Frontfrau von Blues, Gospel und Soul und spätere Königin des Rock ´n Roll steht auch für die fortschreitende Emanzipation der Frauen gegen das auf allen Erdteilen verbreitete Macho- und Mackertum.

Ihr erstaunliches Comeback in den 80iger Jahren brachte ihr erst die ganz große Berühmtheit, nicht zuletzt auch mit ihrem James-Bond-Titelsong von Bono: „Golden Eye“ in dem gleichnamigen Film mit Pierce Brosnan in der Hauptrolle.

Wir verneigen uns vor dieser außerordentlichen Frau, die als einzigartige Person und wirkliche Legende in die Frauenbewegung und Musikgeschichte eingehen wird.

 

Mai 2023

Im Dunstkreis der Kunst

Ein neuer Film über den abenteuerlichen Teil des Kunstbetriebs kommt in die Kinos: „Der Illusionist“ unter der Regie von Birgit Schulz, Journalistin und Filmemacherin. Der Film portraitiert den Kunstverkäufer Helge Achenbach, dessen zweifelhafte Geschäfte mit Berthold Albrecht (Sohn des Aldi-Nord-Gründers Theo Albrecht) nach seinem Tod durch die Klage seiner Ehefrau aufflogen und dem Verkäufer eine 4-jährige Gefängnisstrafe einbrachte. Helge A. hatte sich durch den Verkauf von Kunstwerken an Berthold A. rechtswidrig bereichert und ihm millionenfachen Schaden zugefügt.

Inzwischen hat Helge A. seine Strafe verbüßt und beschäftigt sich heute mit einem Projekt zur Naherholung am Niederrhein. Dabei ist er Interviewpartner und Protagonist im obigen Film. Es wird berichtet, dass er Kontaktfreudigkeit und Verkaufstalent trotz seiner haftbedingten Leidensgeschichte nicht eingebüßt habe.

So weit so gut. Aber es bleibt die Frage, was denn gut betuchte Menschen wie Berthold A. dazu bringt, extrem hohe Summen für Kunst auszugeben. Piroschka Dossi meint in ihrem Buch: Hype! Kunst und Geld: „In keinem anderen Markt herrscht eine so fundamentale Unsicherheit über den Wert der gehandelten Waren“!

Aber ist der Antrieb, sich mit Kunst zu beschäftigen, eher gezielte Spekulation oder einfaches Glücksspiel? Oder liegt es an dem Wunsch, sich auf neues Terrain zu begeben, sich dort ein neues Gewand anzulegen und dabei Gefahr zu laufen, dass Freunde und Publikum diese Kleidung gar nicht erkennen, weil sie real nicht vorhanden ist? Diese Geschichte findet sich schon bei Hans Christian Andersen in: „Des Kaisers neue Kleider“ Illusion also, im Dunstkreis der Kunst!

Der Zugang zu einer Welt, die sich vom schnöden Broterwerb so deutlich unterscheidet, scheint jedenfalls verlockend zu sein und schützt sicher auch vor Langeweile.

So greift der Film von Birgit Schulz hintergründig auch die alte Frage nach dem Sinn von Kunst auf. Sie kann zwar niemals ganz beantwortet werden. Dennoch sollte man der Filmemacherin ein wenig dankbar dafür sein, dass sie das alte, ewig neue Thema einmal mehr aufgegriffen und bearbeitet hat. Ein Schuft, der Böses dabei denkt.

Oder wie es der berühmte britische Hosenbandorden ausdrückt: Honi soit, qui mal y pense.

 

April 2023

Künstler gestern und heute

Künstler waren im Mittelalter zugleich Handwerker, die ihre Utensilien einschließlich der Malfarben, in der Regel selbst herstellten. Da es die Fotografie noch nicht gab, malten sie ihre Landschaften, Stillleben oder Portraits gegenständlich. Fotografische Verfahren wurden erst im 18. Jahrhundert entwickelt, und sehr langsam gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das gegenständliche Malen nach und nach ersetzt durch andere Denk- und Vorgehensweisen und nahm Kurs auf den Impressionismus, Expressionismus und die Abstraktion. Dabei prägten die schnell voranschreitenden Wissenschaften und technischen Entwicklungen auch die Malerei. Für Künstler war es aber in der Regel schwierig, den Lebensunterhalt zu bestreiten, und gesicherte Verhältnisse waren die Ausnahme. Galeristen, Sammler, Kunstkritiker, Auktionshäuser, Museen und andere übernahmen zunehmend die Geschicke des Kunstbetriebs, der einerseits dem Volkswohl verpflichtet, aber dennoch zunehmend von Spekulation und dem Drang nach Geldvermehrung geprägt war, und es wurden Künstlermarken geschaffen, die denen von  Luxusartikeln sehr ähnelten. 

Eine herausragende Stellung nimmt dabei die US-amerikanische Malerei ein, die sich erst seit den 1950-er Jahren, also nach zwei grausamen Weltkriegen, auf dramatische Weise von der alten Malkunst befreite und mit Pollock, Rauschenberg, de Kooning und vielen anderen Mitstreitern grundlegend neue Wege beschritt, wie zum Beispiel mit Action Painting, abstraktem Expressionismus oder Informel und anderen Ausprägungen bis hin zu Lichtenstein und Warhol, denen die Kunstwelt sogar Coladosen und comichafte Mädchenportraits - als Pop Art eingestuft - versilberte. Die große Freiheit schien unbegrenzt zu sein, und der auch international viel beachtete Joseph Beuys plädierte sogar für einen „erweiterten Kunstbegriff“ unter dem Motto, dass jeder Mensch ein Künstler sei, was ja bei spezieller Blickrichtung nicht völlig daneben sein mag, aber vor 50 Jahren doch abwegig erschien. Hinzu kamen seine weiteren gegen die etablierte Kunstwelt gerichteten Provokationen („ Fettecke“), von denen es später im Volksmund hieß: Ist das Kunst oder kann das „wech“? Festzuhalten ist jedenfalls, dass die wundersame Vermehrung von Dollar und Rubel mächtig Fahrt aufnahm und die Spekulation anheizte, häufig immer noch ohne ausreichende finanzielle Beteiligung der eigentlichen Urheber. In der Zwischenzeit gibt es allerdings Künstler die ihr Geschäft in eigener Sache selbst betreiben, wie z.B. Jeff Koons, Damien Hirst oder Takashi Murakami. Sie sind aber die Ausnahme.

Wie kann es dennoch sein, dass Millionen unbekannter Künstler sich ihrem Beruf mit aller Kraft widmen, ja sogar behaupten, dass das Streben nach Geld und Reichtum ihrer Berufung zuwiderliefe? Eine Antwort mag sein, dass die Freiheit, sich persönlich zu entwickeln als Künstler eher gegeben ist als in anderen Berufen. Auch die Hoffnung auf Bekanntheit und Wertschätzung mag eine Rolle spielen.

Dass die bloße Aufmerksamkeit des Publikums hier etwas bewegen kann, zeigt folgendes Beispiel aus der Provinz: Am Nordseestrand bei Cuxhaven steht eine etwa einen Meter hohe Skulptur. Es ist ein dicklicher Mann mit abstehenden Ohren und Glatze, der mit seinem Surfbrett unter dem Arm etwas unsicher auf das Meer hinausschaut und offenbar hin und her überlegt, ob er einen Versuch wagen sollte. Von den Passanten wird er alle paar Minuten fotografiert, was für seinen Schöpfer, Jonas Kötz von der Elbinsel Krautsand, doch schon einmal höchst ehrenhaft und erfreulich ist. Ein Verleger für das Kunstwerk wurde offensichtlich noch nicht gefunden, aber aus der verblüffenden Hintergründigkeit der Skulptur an einem solchen Ort ließe sich auf jeden Fall mehr machen.

 

März 2023

Was heißt denn hier: Kunst?

„Dem Thema Kunst auf der Spur“ war vor einigen Jahren an dieser Stelle der Leitgedanke für eine monatliche Umschau. Nach der vielzitierten Zeitenwende lautet die Frage nun: Ist die Beschäftigung mit Kunst überhaupt noch relevant?

Die Antwort fällt nicht leicht. Hat sich die Gewichtung doch schließlich stark verändert: Klimawandel, pandemischer Frust, Flüchtlingsprobleme, autoritäre Machtpolitiker, verkrustete Organisationen und andere Phänomene bestimmen das Tagesgeschehen    und haben unserem bislang gewohnten Optimismus etliche Zweifel hinzugefügt.          

Dabei hat sich die Zeit, wenn man sie als reine Messgröße versteht, gar nicht geändert. Sie läuft mit konstanter Geschwindigkeit und unser Tag hat nach wie vor seine 24 Stunden. Also liegt es immer noch ganz an uns, auch diese Zeit zu gestalten und zu nutzen. Die Beschäftigung mit Musik, Bildern, Theater, Literatur oder anderen Formen der Kommunikation kann dabei weiterhin sehr hilfreich sein.

Der Sender „arte“ stellte vor einigen Tagen die Modedesignerin Lilia Litkovska auf der Fashion Week in Paris vor. Ihr Team mit 25 Personen arbeitet nach wie vor in Kiew, während sie selbst häufig auf Tour ist. Nach Kiew kehrt sie jedoch regelmäßig zurück. Durch ihren Auftritt bei der Fashion Week verschaffte sie ihrem Land aber eine ganz besondere publikumswirksame Aufmerksamkeit und Anteilnahme.

In Kiew wird auch nach wie vor Theater gespielt, und in U-Bahnhöfen und Kellern wird musiziert, um die umherfliegenden Mordwerkzeuge gedanklich ein wenig zu neutralisieren.               

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst war - bevor er sich der Politik verschrieb - Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent, und man darf vermuten, dass er seine erstaunliche Energie, die er tagtäglich für sein Land aufbringt, auch aus diesem Part seiner Persönlichkeit bezieht.

Im Zusammenhang mit den obigen Überlegungen fallen auch die regelmäßigen Berichte und Kriegsreportagen von Katrin Eigendorf ins Gewicht, die für ihre hingebungsvolle Arbeit gleich mehrfach ausgezeichnet wurde.

Ist die Beschäftigung mit Kunst also noch relevant?

Die Antwort lautet: Ja, sie ist wegen der aktuellen Geschehnisse zwar in den Hintergrund getreten, aber dennoch für ein tägliches Arbeiten unter Stress und unter extremen Bedingungen für viele Menschen eine tragende Säule und stärkt die persönliche Widerstandskraft. Die Beschäftigung mit ihr kann geradezu therapeutische Wirkung entfalten und ungeahnte Kräfte freisetzen. Als besondere Form der Kommunikation bleibt sie von unschätzbarem Wert in schwieriger Zeit.

 

Februar 2023

Die Umleitung

Vor geraumer Zeit – als China noch Entwicklungsland war – lautete eine beliebte Frage: Wie heißt der chinesische Verkehrsminister? Antwort: Um Lei Tung.

Tatsächlich stehen wir vor der Herkulesaufgabe, wirkungsvoll und ohne weitere Verzögerung eine „Umleitung“ zu bauen (neuerdings auch „Zeitenwende“ genannt). Energie, Klima, Armut, Diktatur und andere bedrohliche Probleme müssen nun dringend angepackt und gelöst werden. Zu lange haben wir uns an Prämissen orientiert, die - wie wir heute erkennen müssen - in die Irre führen, wenn wir nicht jetzt entschieden reagieren.

Unsere enorme Ressourcenverschwendung bei der Energie steht hier als Beispiel für vieles andere: Wie kann es denn sein, dass wir über so viele Jahre Kohle, Erdöl und Erdgas durch Schornstein und Auspuff gejagt haben, wenn doch seit langem bekannt ist, dass eine viel schonendere Energiegewinnung möglich ist? Über allem standen bisher leider nur die Ziele: Kurzfristige Gewinnmaximierung und Wachstum um jeden Preis.

Vielleicht erklärt das Bild von einer großen Flussumleitung, dass die nun anstehenden Aufgaben nicht auf einen Schlag zu lösen sind, sondern dass dieses Projekt profundes Verständnis, sorgfältige Planung und genaue Kontrolle erfordert. Ein Fluss nimmt Wege, die mit rationalem Denken und unter Zeitdruck nicht leicht zu verstehen sind. Doch wenn wir der Natur auf den Grund gehen, erkennen wir, dass die gerade Linie nicht immer der sinnvollste Weg ist, um von A nach B zu kommen.

Alexander von Humboldt hat uns ein bemerkenswertes Beispiel geliefert: Er war in aller Welt unterwegs, um Neues zu entdecken und zu staunen,  Notizen und Skizzen anzufertigen und Ergebnisse zu präsentieren, und das alles unter Inkaufnahme enormer Anstrengungen, ständiger Gefahren aber ohne die Absicht, nach materiellen Reichtümern zu suchen oder Länder zu erobern.          

Nehmen wir uns also zurück mit unkontrollierter Verschwendung und bleiben kritisch bei der Gestaltung unserer Zukunft. Vergessen wir aber auch nicht, die notwendigen Verschnaufpausen einzulegen und die Augenblicke der Ruhe zu genießen.

Die Umleitung überholter Gewohnheiten wird dann umso leichter gelingen.

 

Januar 2023

Schöne neue Welt

Nun steht es fest: Die Dinosaurier und mit ihnen die meisten Landtiere sind vor etwa 66 Millionen Jahren ausgestorben, weil sich die Atmosphäre infolge eines Asteroideneinschlags auf der Yucatan-Halbinsel in Mexiko über eine lange Zeit verdunkelt hatte. Der Asteroid soll einen Durchmesser von etwa 15 km gehabt haben, der entstandene Krater einen Durchmesser von etwa 150 km. Trümmerteile, Brände und riesige Flutwellen waren die Folge. Neben der Verdunkelung sollen auch schwefelhaltige Aerosole die nachfolgenden starken Veränderungen des irdischen Lebens mit verursacht haben. Immerhin hatte es die Dinos rund 180 Mio Jahre auf der Erde gegeben - eine ziemlich lange Zeit!

Eine andere zunächst weniger aufregende Meldung zeigt den Weg in eine noch weiter zurückliegende Vergangenheit: Das James Webb Space Telescope (JWST). Es startete in Guayana am 25.12.2021 mit einer Ariane-5-Trägerrakete zu einem 30 Tage dauernden Flug.               

Die hauptsächlichen Aufgaben von JWST sind:

1/ Nach leuchtenden, nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren entstandenen Objekten suchen
2/ Prozesse von Strukturbildungen im Universum aufzeichnen und beurteilen
3/ Schwarze Löcher und protoplanetare Scheiben untersuchen
4/ Klären, ob auf Exoplaneten Leben entstanden ist oder entstehen könnte

JWST befindet sich nun am sogenannten Lagrange-Punkt L2 im System Erde-Sonne in einer Entfernung von etwa 1,5 Mio km von der Erde. Die Entfernung der Erde von der Sonne beträgt etwa 150 Mio km. Das Teleskop JWST bewegt sich nun mit einer Geschwindigkeit von etwa 4000 km/Std um die Sonne. Die Spiegel der JWST-Optik bestehen aus Beryllium: Geringe Dichte, hohe Festigkeit, geringe Wärmedehnung. Die Beryllium-Spiegel wurden mit einer 100 nm dicken Goldschicht versehen, die auch im Infrarotbereich sehr gut reflektiert. Die Leistungsfähigkeit von JWST soll das 100-fache seines Vorgängers, des Hubble Teleskops, betragen. Die Kosten für das JWST belaufen sich bis heute auf etwa 10 Mrd US-Dollar, davon etwa 90% Entwicklungskosten. Die USA tragen die Hauptkosten, mitbeteiligt sind Kanada und Europa. Am 11.Juli 2022 lieferte JWST erste beeindruckende Bilder von  fernen Galaxien, und es  soll insgesamt etwa 20 Jahre lang senden.

Was haben diese beiden hier beschriebenen Ereignisse miteinander zu tun? Sie geben - jedes auf seine Weise - einen Maßstab für die geringe Größe unseres irdischen Lebens mit unseren täglichen Sorgen und Nöten und bieten eine Chance, uns am Anfang des noch jungen Jahres 2023 einmal aufzuschwingen und freundlich herabzuschauen auf alles, was unser Globus so bietet. Richten wir unseren Blick, ausgehend von längst vergangenen Zeiten, mit JWST auf die Zukunft. Das kann zwar lange dauern, aber spannende Neuigkeiten sind vorprogrammiert.

JWST wird uns also noch etliche Jahre begleiten aus unserer schönen alten in eine hoffentlich ebenso schöne neue Welt.

 

Dezember 2022

Glück: Sorioneku

Irene Vallejo aus Saragossa hat ihr erstes Sachbuch geschrieben: Papyrus. Und das gleich mit durchschlagendem Erfolg. Sie berichtet mit spürbarer Begeisterung über die Antike, vor allem über die Entwicklung der mündlichen Erzählung zum geschriebenen Bericht in Mesopotamien, Ägypten, Griechenland und vor allem im Römischen Reich.

Ihre besondere Liebe gilt den Bibliotheken, deren Einrichtung, Erhalt und Niedergang, insbesondere dem Werdegang der Bibliothek in Alexandria, die im 3. Jahrhundert v. Chr. gegründet und nach mehreren Jahrhunderten wieder zerstört wurde.

Vallejo gibt auch Einblicke in die Herstellung und Verwendung von Papyrus (wie sollte es bei diesem Buchtitel anders sein?), Pergament, Papier und anderem Basismaterial, auf dem geschrieben, verbreitet und überliefert wurde.

Als herausragende Leistung stellt sie die Entwicklung des Alphabets im alten Griechenland heraus, das im Prinzip bis heute bei uns gebräuchlich ist. Es sind ja nur wenige Buchstaben, mit denen man nahezu alle Sprachen der Welt abbilden kann.

Ganz anders die Kompliziertheit, aber auch besondere Schönheit, von Schriften, die bildhafte Zeichen oder Symbole verwenden, zum Beispiel die altägyptischen Hieroglyphen oder die chinesische Schrift.

Besonders deutlich wird in Vallejos Buch, dass durch schriftliche Aufzeichnungen erst ein genauerer Blick in unsere Vergangenheit möglich wurde, der das Verstehen dessen erleichtert, was unsere Vorfahren erdacht oder erlebt haben.

Der Zufall will es nun, dass im Jahr 2021 nahe Pamplona (nicht weit von Saragossa) ein 14,5 cm langes Bronzeblech mit 40 Schriftzeichen gefunden wurde, welches mehr als 2000 Jahre alt ist und von den Vorfahren der Basken, den Vasconen, stammen soll.

Ein Wort auf dem Artefakt, das entschlüsselt werden konnte ist: Sorioneku. Es gleicht bis auf´s Haar dem heute gebräuchlichen baskischen Wort Zorioneko, und das bedeutet bei den Basken: Glück.

 

November 2022

Raue Jahre

Bei uns in Europa hat sich die Lage ohne Zweifel seit Februar 2022 von verzwickt auf bedrohlich gedreht und das in allen wichtigen Bereichen: Politisch, wirtschaftlich und sozial, und unsere Regierung bemüht sich nach Kräften, das brutale Schaulaufen unseres östlichen Nachbarn koordiniert mit unseren westlichen Partnern einzugrenzen.

Dabei geht es in dieser unsäglichen Schlammschlacht, die außer der verlogenen Propaganda bereits so viele Tote auf beiden Seiten und brutale Zerstörung hervorgebracht hat, um viel, nämlich um nichts weniger als die Frage, ob unsere Demokratie mit ihren individuellen Freiheiten und Rechten den Attacken einer unkontrollierten Autokratie standhalten kann.

Raue Jahre liegen vor uns, und unser Bundespräsident hat Recht, wenn er den Zusammenhalt unserer Gesellschaft als besonders dringend anmahnt und auch erklärt, dass unsere Wohlfahrtsgesellschaft sich nun den gegebenen Verhältnissen anpassen muss. Das betrifft die Fähigkeit, unser Land zu verteidigen ebenso wie die Bereitschaft aller Bürger, sich stärker als bisher in unser Gemeinwesen einzubringen und den eigenen Vorteil häufiger als bisher hintanzustellen. Anpassung wird somit zur Pflicht und vordringlichen Aufgabe jedes einzelnen.

Darüber hinaus ist nachhaltigeres Wirtschaften in allen Lebensbereichen angesagt. Denn es geht in dieser Zeit keineswegs nur um die Frage, welches politische System die Oberhand gewinnt, sondern vielmehr darum, wieviel Mensch unsere Erde zukünftig überhaupt verkraften kann.

Neben Einschränkungen ist daher Veränderung notwendig, denn schon allzu lange treiben wir Raubbau an unseren Ressourcen, verschwenden wichtige Energiequellen und kümmern uns nur sporadisch um die Hinterlassenschaften unserer Lebensweise. Neue Technologien und sinnvolle Kontrollen sind hier lebensnotwendig. Dies gilt natürlich auch für die bisher mit vielen Mängeln behaftete Digitalisierung und die gewaltigen unkontrollierten Geldströme, welche die Ungleichgewichte zu unser aller Nachteil weiter verstärken.

Historische Quellen belegen, dass Alexander der Große ohne die zufällige Eroberung der bedeutenden persischen Kriegskasse sein mächtiges Reich kaum hätte errichten können. Ist großer Reichtum also notwendig, um Fortschritte für die Menschheit zu erzielen?

Von den altgriechischen Philosophen ist nicht bekannt, dass sie übermäßigen Reichtum benötigten. Sie beschränkten sich eher auf das Wesentliche, und es ist kein Zufall, dass die Wiege unserer Demokratie genau im alten Griechenland stand. Davon zeugen noch heute die mehr als 2000 Jahre alten, perfekt erhaltenen Kunstwerke, Baudenkmäler und Beschreibungen dieser Epoche. Zu bestaunen auf der Akropolis in Athen.

 

Oktober 2022

Am Amazonas

Die beliebte Radiosendung „Zwischen Hamburg und Haiti“ wird seit über 70 Jahren vom Norddeutschen Rundfunk produziert und regelmäßig am Sonntagmorgen ausgestrahlt. 

Hier berichtete kürzlich die Journalistin Gudrun Fischer anlässlich ihrer Reise zum Amazonas über einen neu aufkommenden Ökotourismus bei den indigenen Stämmen Brasiliens, wie den Paiter-Surui und den Yanomani.

Dass hier - besonders seit der Regierung Bolsonaro - ungehemmter Raubbau an der Natur betrieben und geduldet wird, ist bekannt und wird immer wieder beklagt: Illegale Aktivitäten, wie Brandrodung, Holzeinschlag und Goldsuche, sind die Hauptbedrohungen, die mit brutaler Waffengewalt durchgesetzt und gegen die Interessen der Indigenen betrieben werden.

Gudrun Fischer beschreibt ihre Reiseerfahrungen bei den Indigenen und erste Erfolge im Aufbau eines sanften Tourismus, der sich mit der Kultur und Lebensweise der dortigen Bevölkerung verträgt.

Die extremen Klimabedingungen am Amazonas werden für uns Mitteleuropäer allerdings weiterhin eine große Herausforderung bleiben, wie sie bereits Klaus Kinski als Fitzcarraldo am Amazonas in Werner Herzogs Abenteuerfilm durchmachen musste.

Es bleibt aber zu hoffen, dass ein aufkommender Ökötourismus die Probleme der Indigenen noch deutlicher als bisher sichtbar macht und in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stellt.

 

September 2022

In Luzern hat´s gefunkt: Porgy und Bess

Der NDR berichtete am 26. August über die zur Zeit laufenden Luzerner Festspiele, bei denen auch George Gershwins Oper: Porgy und Bess mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter ihrem Chefdirigenten Alan Gilbert aufgeführt wurde. Die Aufführung in Luzern war ein so herausragender Erfolg, dass das Publikum sich zum Ende der Vorstellung begeistert erhob und minutenlang mitklatschte.

Die Geschichte von Porgy und Bess geht auf das Jahr 1870 zurück und spielt im Hafenviertel von Charlestone/South Carolina in einer Schwarzensiedlung, der Catfish Row. Die Haupthandlung besteht aus einer unglücklichen Liebesgeschichte zwischen Porgy, dem behinderten Bettler und Bess, dem schönen, kokainsüchtigen Mädchen.

Die Geschichte der Oper hat erheblichen Tiefgang. Die Anweisung Gershwins von 1935, dass nur People of Colour hier auf der Bühne stehen sollen, hat bis heute Geltung. Für Morris Robinson (in Luzern der Darsteller des Porgy und in New York Star der Metroplitan Oper) ist Gershwins Werk ein wichtiges Stück schwarzer amerikanischer künstlergeschichte mit dem heute nicht minder aktuellen Hintergrund von Rassismus, Armut und Gewalt.

In den weiteren Hauptrollen: Elizabeth Llewellyn als Bess und Golda Schultz, die das Publikum  mit dem weltbekannten Wiegenlied „Summertime“ verzaubert.

Die Oper geht bereits am 27.August mit gleicher Besetzung als finaler Höhepunkt zum Schleswig-Holstein Musikfestival nach Kiel.

 

August 2022

Gas geben

Nachdem North Stream 2 doch nicht in Betrieb genommen wurde und wir nun wegen der Nicht-Lieferung von russischem Erdgas mehr oder weniger durch die Röhre gucken, müssen wir umso kräftiger auf ein für derartige Notfälle vorgesehenes Gaspedal drücken. Und das keineswegs allein wegen der fehlenden Mengen an Erdgas, sondern ebenso im Zusammenhang mit den vielfältigen Problemen bei Energie, Klima, Erderwärmung, Pandemie, Überbevölkerung, Ernährung, Flüchtlingsbewegungen und Verschmutzung der Umwelt. Nationalismus, Populismus und die grassierende Unfähigkeit von Wählern und Gewählten, nicht nur zu protestieren oder zu beschwichtigen, sondern sinnvolle Problemlösungen durchzusetzen, bewirken ihr übriges.

Das bekannte Kölner Sprichwort: „Et hätt noch immer joht jejange“ hilft uns nun nicht mehr weiter, und wir werden auf die eine oder andere Bequemlichkeit zukünftig verzichten müssen. Denn viele brisante Fragen sind zu beantworten, beispielsweise: Warum haben wir über so lange Zeit unsere wertvollen Bodenschätze auf Nimmerwiedersehen durch Kamine, Schornsteine und Auspuffe gejagt? Oder: Wieso bauen wir immer noch unverdrossen mit einem Baustoff wie Zement, wenn wir doch wissen (sollten), dass dies Gift für das Weltklima ist? Zement muss ja nicht nur mit hohem Energieaufwand gebrannt und gemahlen werden, sondern sein Hauptbestandteil Kalk setzt beim Erhitzen auch noch riesige Zusatzmengen an CO2 frei! Natürlich ist China hierbei einmal mehr Weltmeister, denn es produziert jährlich mehr Zement als der Rest der Welt zusammen. Doch nicht allein China trägt die Schuld an der Misere. Die gesamte - vor allem westliche - Welt hat es ja mit ihren ungebremsten Wachstumsphantasien und Shareholder Values vorgemacht.

Wo liegen nun Lösungsansätze für das Energie- und Klimaproblem? Weiter herumjammern wird nicht helfen. Eher wohl der verschärfte Blick auf die riesigen natürlichen Quellen unseres Planeten, nämlich: Sonne, Wind, Wasser, Geothermie und deren strikte Nutzung ohne den bisher praktizierten Raubbau und die weitere Verschwendung unserer Ressourcen.

Beispielsweise sind die chemischen Zusammenhänge zur Gewinnung von Wasserstoff, als Energieträger seit mehr als zwei Jahrhunderten bekannt, ebenso das Prinzip der Wasserelektrolyse und deren Umkehrreaktion von Wasserstoff und Sauerstoff, die sich wieder zu einer wunderbar unschädlichen Verbindung, nämlich Wasser, verbinden. Bis heute wird Wasserstoff, der unter anderem zur Entschwefelung von Dieselkraftstoff benötigt wird, aber nicht durch Elektrolyse sondern aus der Dampfreformierung von Erdgas gewonnen, und dieses wird ja nun knapp. Die Elektrolyse muss daher schnellstens wettbewerbsfähig gemacht werden. Bedeutsame Anfänge hierfür sind glücklicherweise bereits seit einigen Jahren in vollem Gange, aber größte Eile ist weiterhin geboten. Ein kompletter Paradigmenwechsel steht an, und die ganz große Kunst wird nun sein, alle wichtigen  Player in die Durchführung dieses enormen Umbruchs einzubinden. Unsere Opfer dafür werden nicht gering sein. Aber wir dürfen die Chance nicht verpassen, und es heißt ganz einfach:

Gas geben, was das Zeug hält!

 

Juli 2022

Über die Schönheit

Zweifellos gehen die Meinungen darüber, was als schön gelten kann, weit auseinander. Weder Kunst noch Mode liefern hier klare Antworten, sondern leben eher von Veränderung und Wechsel, und die Paarung von Schönheit mit anderweitigen Tugenden wie Klugheit, Mut oder Standhaftigkeit ist häufig attraktiver als die bloße Schönheit allein, denn dies kann als Fassade durchaus auch die möglicherweise dahinter verborgene Dummheit verdecken.

Nun ist der Mensch aber bekanntlich ein Augentier, und das Bemühen um Schönheit ist ja als immer wiederkehrendes Thema bereits in alten Kulturen fest verankert. Dies im Einzelnen zu beschreiben, würde eine ganze Buchreihe füllen und wäre immer noch nicht ausreichend erklärt. Um sich kürzer zu fassen, mag es daher einfacher sein, vom Gegenteil auszugehen und etwas Unschönes oder gar Hässliches zu beschreiben. Hier ein Beispiel aus unserer Zeit:

Vor einigen Jahren wurde in der ARD-Sendung Extra3 Ludwigshafen am Rhein zur hässlichsten Stadt Deutschlands gewählt. Überflüssige Hochstraßen, brachliegende U-Bahnlinien, verwahrloste Betonfassaden und fehlende Ruheplätze sollen dort typisch für das Stadtbild sein. Verwunderlich, dass die BASF mit der weltgrößten Chemieanlage und einem entsprechenden Steueraufkommen sich dort nicht rechtzeitig eingeschaltet hat. Inzwischen hat man sich jedoch auf andere Weise eingerichtet, ist der Misere ausgewichen und wohnt - wenn man es sich leisten kann - auf der anderen Seite des Rheins, also in Mannheim oder Heidelberg.

Allerdings hat die Stadt Ludwigshafen den Spott von Medien und Publikum gut ausbalanciert, aus dem Missstand etwas Besonderes gemacht und auf eigene Art Pluspunkte gesammelt: Unter Leitung des Künstlers und Architekten Helmut van der Buchholz, der bereits seit 1960 in Ludwigshafen wohnt und die Entwicklung der Stadt hautnah miterlebt hat, werden fachmännische und inzwischen sehr gut angenommene Führungen durch das städtebauliche Unbehagen veranstaltet mit dem Titel: Germany´s Ugliest City Tours.

Man kann den Wert von Schönheit also auch in einer Art von Kontrastprogramm erfahren und damit Bekanntheit erzielen. Ein Stararchitekt wie Frank Gehry, der die spanische Industriestadt Bilbao mit seinem genialen Solitärbau - dem neuen Guggenheim-Museum - beglückt und zu einer Touristenattraktion gemacht hat, ist damit zwar nicht zu ersetzen. Aber auch der Achtungserfolg der Ludwigshafener kann sich sehen lassen.

 

Juni 2022

Nomen est omen

Ein Name sagt gemäß diesem lateinischen Spruch einiges über den Namensträger aus. Diese Feststellung wollen wir im Folgenden auf ihre Aktualität überprüfen.

Als besonders männlich galten früher Vornamen mit der Endung –rich, also Heinrich, Roderich, Friedrich und so weiter. Nun ist es mit der Männlichkeit in den vergangenen Jahren zweifellos etwas bergab gegangen und das Weibliche hat sich in den Vordergrund geschoben. Dies hatte auch Folgen für die männlichen Vornamen. Aus dem –rich wurde nun ein weiblicher klingendes –lich. Nicht dass die Männer nun Friedlich oder Reinlich hießen, aber ein Vorname mit dieser Endung ist dennoch stark im Kommen: Es ist der Tunlich.

Ein Mann namens Tunlich soll dem Vernehmen nach demnächst den Kommissar in einer neuen Tatortserie spielen. Man sagt ihm sogar Chancen in Hollywood nach. Seine Vorfahren waren wohl niederländischer Abstammung. Das besagt der Familienname: Van Avraden. Ihr nun in der Boulevardpresse bejubelter Abkömmling ist der neue Shooting Star: Tunlich van Avraden.

Sein Name ist allerdings Programm, oder besser: Das Programm hat nun einen Namen. Denn was soll man sonst schon zu der Fernsehunterhaltung mit ihren sparsamen Variationen sagen? Hat sich das Strickmuster doch bewährt, und die Quote stimmt. Das Ergebnis: Programm vom Fließband.

Wer noch halbwegs bei Trost ist, sollte besser die Austaste bedienen und sich sagen: Da kann ich nur: Tunlich van Avraden!

 

Mai 2022

Der Löwenzahn

Ab April/Mai zeigt der Löwenzahn – dort, wo man ihn lässt – seine leuchtend gelbe Blütenpracht, und nicht lang darauf verwandeln sich seine Blüten in die von Kindern so heiß geliebten Pusteblumen mit ihren unzähligen Samen, die sich bei leisester Luftbewegung auf den Weg machen, um sich an anderer Stelle niederzulassen und dort neue Wurzeln zu schlagen. Bei diesem Gedanken drängt sich der Vergleich mit den geradezu mystischen Sonnenblumenbildern eines Vincent van Gogh auf.

Ja, Gelb ist die Farbe der aufsteigenden Sonne und des Lichts, und der Löwenzahn, diese Wunderpflanze mit ihrer grandiosen Leuchtfarbe, ihren Heilkräften und ihrer ausgeprägten Zähigkeit steht real und sinnbildlich für genau diese Eigenschaften.

Denn wer etwa versucht, einen Löwenzahn auszugraben, stößt auf erhebliche Schwierigkeiten: Seine Pfahlwurzel ist nicht nur enorm lang sondern auch extrem widerstandsfähig.

Zur leuchtend gelben Farbe des Löwenzahns passt der wolkenlos blaue Frühlingshimmel dieser Tage.

Blau und Gelb: Diese Farben zeigt auch eine Flagge, die wir seit Wochen bei Demonstrationen auf unseren Straßen und in den Nachrichten sehen. Sie steht für all die Eigenschaften, die ebenso unglaublich sind, wie die des Löwenzahns. Mögen sie sich als Wegweiser in eine bessere Zukunft erweisen.

 

April 2022

Maske, Tarnung, Camouflage

Diese Begriffe werden nicht nur mit Theaterspiel oder Erzählung verbunden, sondern stehen auch ganz allgemein für Verhaltensweisen menschlicher Zivilisation und haben eine sehr lange Tradition. Selbst Tiere, ja sogar Pflanzen, haben mit dem Mittel der Tarnung häufig eine ausgeprägte Technik entwickelt, die entweder nur zur Verteidigung oder aber als Vorbereitung zur Attacke dienen kann.

Während die Tarnung bei Flora und Fauna dem direkten Überleben der Art dient, sind die Spielarten der Maskierung beim Menschen Teil seiner Kunst. Dabei ist die Maske im Theater eine Selbstverständlichkeit, ohne die eine Aufführung nicht möglich, ja sinnlos wäre. Die Maske im täglichen Leben genießt dagegen - zumindest in unserem Kulturkreis - die eher zweifelhafte Bedeutung von Camouflage, und man geht - wenn sie entdeckt wird - in Abwehrhaltung.

Leider gibt es Menschen, die überwiegend aus Maske bestehen. Sie sind sozusagen ihre eigene Maske, und diese wirkt auf den ersten Blick so überzeugend und vertrauenerweckend, dass dies für Mitmenschen geradezu lebensgefährlich werden kann. Denn diese Art von Maske ist nicht allein ein Bild sondern schließt Verhaltensweisen, Sprache, Gewohnheiten, kurzum alles ein, was den äußerlichen Menschen ausmacht und führt in der Konsequenz zu einer zweiten Identität. Robert Louis Stevenson hat in seiner Novelle: Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde einen Vorläufer dieses Menschtyps beschrieben, und aus Goethes Faust I kann eine Figur als überragendes Beispiel herangezogen werden: Mephisto.

Verbergen und Maskieren von Täuschung, Lüge und Verstellung sind also keineswegs neu, und sicherlich gehört auch das Aufkommen von Fake News, von pseudoreligiösem Kitsch, erfundenen Feindbildern und digitaler Propaganda ebenfalls in diese Kategorie. Es sind nur andere Namen und angepasste Methoden.

In Osteuropa sind diese Masken spätestens seit dem 24. Februar 2022 gefallen, und die unverhohlene Bedrohung ist sichtbar geworden. Hierauf müssen wir uns umgehend einstellen und ohne zu zögern Klarheit schaffen, dass wir eine weitere Camouflage auf keinen Fall hinnehmen werden.

 

März 2022

Menschenaffen

Ein kürzlich im Fernsehen gesendeter Tierfilm über Afrika zeigte das Zusammenleben verschiedener Menschenaffen, darunter das der sehr friedfertigen Flachlandgorillas, aber auch das von Schimpansen, die sich öfters zusammenrotten, um in den Baumkronen Jagd auf eine kleinere Affenart zu machen. Die Jagdbeute wird dann untereinander aufgeteilt und in der Großfamilie verspeist.

Experimente mit Schimpansen zeigen, dass diese nicht nur brutal sein können sondern auch eine bemerkenswerte Lernfähigkeit besitzen: Sie nutzen einfache Werkzeuge zur Nahrungsbeschaffung und zeigen sogar eine gewisse Veranlagung zur abstrakten Malerei. Bereits in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts malte ein Schimpanse namens Congo etwa 400 Bilder, von denen drei Stück im Jahr 2005 für insgesamt etwa 20.000 EUR an einen amerikanischen Sammler verkauft wurden. 

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut haben das Erbgut von Schimpansen mit dem des Menschen verglichen und festgestellt, dass 98,7 % davon übereinstimmen, auch wenn sich das Gehirn des Menschen innerhalb von 6 Mio Jahren offenbar schneller entwickelt hat als das des Schimpansen.

Zweifellos gibt es nun Menschen nach Art der Flachlandgorillas, wahrscheinlich ist dies sogar die Mehrzahl. Dennoch tritt die nackte Gewalt nach der eingangs beschriebenen Schimpansenmethode immer wieder auch bei Menschen zu Tage, trotz ihres angeblich weiterentwickelten Hirns. Dafür bietet ja der brutale Krieg direkt vor unserer Haustür ein erschreckendes Beispiel, welches mit gesundem Menschenverstand nicht erklärt werden kann.

Der deutsche Astronaut Alexander Gerst wies nach seiner Rückkehr von der ISS im   Jahr 2014 immer wieder eindringlich darauf hin, dass wir nur eine Erde haben und dementsprechend handeln sollten. Welchen Stellenwert diese Aussage nun hat, wird sich erweisen, wenn die an der ISS beteiligten 16 Nationen die Frage klären, ob es zumindest unter Wissenschaftlern zukünftig ein gemeinsames Arbeiten geben soll.

 

Februar 2022

Panama

Panama ist der östlichste mittelamerikanische Staat mit etwa 4,2 Millionen Einwohnern zwischen Kolumbien und Costa Rica. Der berühmte Panamakanal (Länge 82 Kilometer, Eröffnung im Jahr 1914) ist die bedeutendste Einnahmequelle des Landes. 1903 erhielt Panama seine Unabhängigkeit von Kolumbien und stand seitdem unter wachsendem Einfluss der USA. 1999 gaben die USA die Kontrolle über den Panamakanal ab. Dennoch spielen die USA wirtschaftlich nach wie vor eine wichtige Rolle, und der US-Dollar ist die dominierende Währung im Land.

Die Kanalpassage für ein mittelgroßes Containerschiff beträgt etwa 300.000 Dollar. Die niedrigsten Passagekosten hatte im Jahr 1928 der US-Amerikaner Richard Halliburton, der den Kanal in acht Tagesetappen durchschwamm. Er hatte nach ordnungsgemäßer Vermessung seiner Wasserverdrängung 0,36 Dollar zu zahlen. Neben den Einnahmen aus der Kanalnutzung verdient Panama sein Geld auch als globale Finanzdrehscheibe, die im Jahr 2016 durch die geleakten Panama Papers allerdings in Verruf geriet.

Aber auch die Kultur kommt in Panama nicht zu kurz: Der renommierte Architekt Frank Gehry, 1929 geboren als Frank Owen Goldberg in Toronto/Kanada, mittlerweile ansässig in Santa Monica/Kalifornien, erhielt 1999 den Auftrag, in Panama ein Museum der Artenvielfalt (Biomuseo) zu bauen, welches die Facetten der Landschaft, in die Panama eingebettet ist, zeigen sollte. Es entstand auf einer Halbinsel an der pazifischen Seite des Kanals nahe Panama-Stadt und bietet eine tolle Aussicht auf die Stadt und das Meer. Die Eröffnung war im Jahr 2014 mit mehreren Galerien zu den Themen: Biodiversität und Artenvielfalt, Erdgeschichte – insbesondere die Trennung von Pazifik und Atlantik durch die mittels Tektonik eingeschobene mittelamerikanische Landbrücke und dadurch: Zunehmender Austausch von Flora und Fauna zwischen Nord- und Südamerika. Ein weiteres Hauptthema ist der Einfluss des Menschen auf die Natur. Zusätzliche Galerien wurden 2019 eröffnet, so dass das Museum nun aus acht Abteilungen besteht.

Neben den erdgeschichtlichen und biologischen Themen, die auch auf die Zukunft ausgerichtet sind, bietet das Biomuseo eine attraktive Architektur, die an einen stark ineinander verschachtelten, bunten Spielzeugbaukasten erinnert. Die exponierte Lage trägt ein Übriges zu diesem Ausnahmebauwerk bei. Man mag darüber diskutieren, ob und wie es sich in die umgebende Landschaft einfügt - ein Hingucker der Extraklasse ist es allemal.

Dem Bauwerk samt seinem beachtlichen kulturgeschichtlichen Inhalt könnte ein ähnlicher Erfolg beschieden sein wie Frank Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao, durch welches die bis dato wenig beachtete, graue Industrieregion Nordspaniens deutlich an Bekanntheit und Beliebtheit gewonnen hat.

 

Januar 2022

Quo Vadis 2022 ?

Mit welchem Motto werden wir weiter in das Neue Jahr gehen: „Bonjour Tristesse“ oder:  „Auf zu Neuen Ufern?“ Diese Frage steht unmittelbar im Raum, und wir haben zu entscheiden, auf welcher Seite wir stehen.

Aber haben wir diese Wahl wirklich? Sind wir nicht weitgehend gebunden an die lähmenden Sachzwänge, nämlich: Ständig wechselnde Hochrisikogebiete, immer wieder aufflammende Infektionsherde, fatale Impfdurchbrüche, ermüdetes Klinikpersonal und ein eklatanter Mangel an öffentlichem Leben?

Wo können wir uns anlehnen und ausruhen, wo Hilfe holen, wie Hoffnung schöpfen? Helfen uns innere Einkehr, Meditation, kreatives Schaffen oder schließen wir uns einfach dem Protestgeschrei der Straße oder dem organisiertem Vandalismus an?

Aber schütten wir nicht das Kind mit dem Bade aus, sondern behalten unser Ziel im Auge, auch wenn es am Horizont immer wieder einmal abtaucht. Mit GPS oder der Kompassnadel halten wir Kurs und erinnern uns an den Spruch alter Seefahrer, die mit ihren Großseglern die Weltmeere durchquerten:

„Dor ward ni bidreiht un ni refft bit wi dat Ziel tofaten hefft.“ Soll heißen: „Da wird nicht beigedreht und nicht (das Segel) gerefft bis wir das Ziel zu fassen haben.“ 

Über das Ziel - oder besser: die Ziele - sollten wir uns allerdings ernsthafter als bisher verständigen und uns klarmachen, dass diese nur gemeinsam erreicht werden können. Es gibt ja wahrhaftig für alle genug zu tun! Unsere größten und besten Fähigkeiten müssen wir dafür in die Waagschale werfen. Dann besteht eine gute Chance, dass wir schon bald eine neue Flagge aufziehen können mit der Aufschrift:

„Adieu Tristesse - Auf zu Neuen Ufern!“

 

Dezember 2021

Die Puppenspieler aus Kapstadt

Eine schöne und zugleich traurige Geschichte: Die Handspring Puppet Company, beheimatet in Kapstadt, löst sich nach 40-jähriger Erfolgsgeschichte auf. Hauptgrund dafür dürften die pandemiebedingt schrumpfenden Einnahmen sein. Keine andere Theatergruppe Afrikas war mit insgesamt 7 Millionen Zuschauern erfolgreicher. Basil Jones und Adrian Kohler wollen dennoch im kleineren Rahmen weitermachen, wie sie kürzlich in Düsseldorf verkündeten. Dort wird zurzeit am Schauspielhaus ihr Stück „Leben und Zeit des Michael K.“ aufgeführt.

Was war das Besondere an der Puppet Company? Es war wohl der großartige Brückenschlag zwischen der europäischen und afrikanischen Theaterwelt. Das Drama  „Woyzeck“ von Georg Büchner aus dem Jahr 1836 wurde von Jones und Kohler afrikanisiert zu „Woyzeck on the Highveld“, und aus Büchners Soldaten Woyzeck wurde ein Wanderarbeiter in einer afrikanischen Mine. Selbst entworfene und gebaute, lebensgroße Holzpuppen, die für alle sichtbar von einem oder mehreren Schauspielern geführt wurden, stehen für die Einzigartigkeit der Puppet Company, deren Erfindungsreichtum und künstlerische Intuition. Allein ihr Woyzeck wurde auf vielen Festivals in Europa und Asien gespielt. Ein weiteres Stück über ein Pferd im Ersten Weltkrieg „War Horse“ wurde ebenfalls weltweit berühmt, auch durch den Filmregisseur Steven Spielberg, der das Stück in London sah und einen Spielfilm darüber machte.

Viele weitere ihrer Stücke fanden Anerkennung und Hochachtung von Publikum und Kritik.

Die Holzpuppe des Woyzeck ist im Stadtmuseum München zu bewundern, die Puppe des War Horse im Victoria & Albert Museum in London.

 

November 2021

Herbstliche Romantik

Der Herbst ist die Jahreszeit der Ernte und der reifen Früchte. Dazu passen vorzüglich auch weitere Zutaten wie frisch gezapfter neuer Wein und Lichter in all ihren Variationen. In dieses Arrangement lässt sich die spektakuläre Naturlicht-Installation von Ingo Nussbaumer aus Wien gut einfügen, die im Deutschen Romantik Museum Frankfurt gezeigt wird: Auf dem Museumsdach ist ein Spiegel montiert, der dem Lauf der Sonne folgt und das einfallende Licht durch die gläserne Dachkuppel leitet. Darunter ist ein Glasprisma mit 370 Liter destilliertem Wasser angebracht. Die großflächige Lichtbrechung über das Prisma erfolgt einerseits nach dem bekannten, von Newton beschriebenen Prinzip in den Farben des Regenbogens, andererseits mit einem vom Regenbogen abweichenden Farbspektrum, das von Goethe bevorzugt wurde und auf eine zweite Fläche projiziert wird. Dieses Spektrum wird durch einen zusätzlichen schattenwerfenden Steg erzeugt.

Goethe, der ja auch Naturforscher war, hat diese zweite Möglichkeit in verschiedenen Abhandlungen bereits beschrieben und war mit den Aussagen von Newton zur Brechung  des Sonnenlichts Zeit seines Lebens nicht einverstanden. Nussbaumer zeigt mit seiner Installation, dass beide Auffassungen ihre Berechtigung haben: Bei Goethe findet sich in der Mitte des Farbspektrums ein schwach bläuliches, purpurnes Rot, bei Newton dagegen ein grünlicher Farbton. Das Goethe-Spektrum zeigt insgesamt eine frühlingshaft-helle Farbskala, das von Newton eine herbstlich-kräftige Auffächerung. Je nach Bewölkung und Leuchtkraft der Sonne bilden sich die Farben stärker oder schwächer ab und scheinen dadurch lebendig zu werden.

Zwar geht mit der Sonne abends auch Nussbaumers Installation schlafen, aber dann ist das Museum ohnehin geschlossen. Zeit für ein Gläschen neuen Wein und ein warmes Stück frischen Zwiebelkuchen. Die herbstliche Romantik kann dann Einzug halten und wir heben unser Glas auf Isaak Newton, Johann Wolfgang von Goethe und den famosen Lichtkünstler Ingo Nussbaumer

 

Oktober 2021

Linda

Die Frage, was eigentlich Kunst sei, steht ja weiterhin im Raum. Glücklicherweise! Sonst hätten Feuilletonisten deutlich weniger über Kunstschaffende und ihre Kunstwerke zu berichten, der Kunstbetrieb wäre sozusagen seiner Basis beraubt.

In etlichen Fällen sind Kunstwerk und Schöpfer nahezu ein und dasselbe. Das Kunstwerk ist dann sozusagen die Person selbst. Karl Lagerfeld war zu seinen Lebzeiten hierfür ein prominentes Beispiel, ebenso wie der zu seiner Zeit bekannte Modedesigner Rudolph Moshammer aus München.

Durch die Tagespresse ging dieser Tage ein weiteres Beispiel: Das ehemalige Supermodel der 90er Jahre Linda Evangelista, mittlerweile 56 Jahre alt, hatte sich - wohl weil in die Jahre gekommen - einer kosmetischen Prozedur mit dem Fachbegriff der Kryolipolyse unterzogen. Anstatt Fettzellen zu reduzieren war bei ihr leider das Gegenteil eingetreten: Eine paradoxe adipöse Hyperplasie.

Sie selbst sagt, sie leide nun unter Depressionen und sei dauerhaft deformiert. Nun hat sie auf Instagram über ihr Missgeschick berichtet und eine Welle der Anteilnahme ausgelöst. Man kann das nur tragisch nennen, aber vielleicht bleibt sie so oder so doch als Kunstwerk mit Marketingbegabung in Erinnerung. Der Graffitispezialist Banksy hat bereits im Jahr 2018 ein Kunstwerk geschaffen und vermarktet, welches hieran ein wenig erinnert: Das halb geschredderte Mädchen mit dem Luftballon.

Im Fall Banksy ist der Wert des halb zerstörten Kunstwerks vor allem wegen seiner Bekanntheit und Einzigartigkeit allerdings um ein Vielfaches gestiegen. Linda E. möchte man dies wünschen - auch wenn sie durch ihre erfolgreiche Karriere als Model wohl trotz allem nicht zu den Hungerleidern Ihrer Branche zählen dürfte.

Ihre Klage gegen das ausführende Kryolipolyse-Institut wird uns weitere Anteilnahme bescheren.

 

September 2021

Der Triumphbogen wird verhüllt

Vom 18. September bis 3. Oktober 2021 wird der 50 m hohe Triumphbogen auf den Champs-Elysées in Paris mit einer Verhüllung aus 25.000 Quadratmetern silbrig-blauem, alubedampftem Polypropylengewebe - befestigt mit roter Kordel - zu besichtigen sein.

Wladimir Jawaschew, Neffe des 2020 in New York verstorbenen Verpackungskünstlers Christo, setzt dessen Werk mit diesem Projekt fort. Die Idee hierzu war bereits im Jahr 1962 in Paris entstanden, wo Christo und Jeanne-Claude sich auch kennengelernt hatten. Bereits 1985 hatten die beiden den Pont-Neuf über der Seine verhüllt.

Das neue Projekt soll 14 Mio  Euro kosten und wird wiederum komplett privat finanziert. Dabei bleibt das Monument mit seiner Aussichtsplattform für den Publikumsverkehr geöffnet, und auch die tägliche Zeremonie am Grab des unbekannten Soldaten wird weiter stattfinden.

Die Denkmalverwaltung erwartet, dass sich die pandemiebedingt schwachen Besucherzahlen wieder erholen werden, denn die erschöpften Leute bräuchten einen Moment des Innehaltens und einen vertrauensvollen Blick in die Zukunft.

“Wir werden das Gefühl haben, dass der Triumphbogen atmet und sich mit der Sonne im Winde wiegt,“ so der zuständige Denkmalverwalter Bruno Cordeau.

Am Eröffnungstag werden die Champs-Elysées für den motorisierten Verkehr gesperrt sein und am Abschlusstag soll Paris sogar ganz autofrei sein unter dem Motto: „Paris atmet durch“. Der Eintrittspreis liegt bei 16 Euro, Tickets sind ab 1. September erhältlich, inklusive eines Schnipselchens silbrig-blauer Verhüllung.       

 

August 2021

Verpackung als Kunstform

Geschenke werden in der Regel verpackt. Das sieht schön aus und erhöht die Vorfreude auf das Geschenk. Schokolade und Kaffee werden ebenfalls verpackt. Das erhöht ihre Haltbarkeit und dient der Werbung. Auch Werbung selbst wird verpackt und zwar so, dass sie beim Verbraucher hängenbleibt wie eine Klette an  der Hosennaht. Verpacken ist zweifellos eine besondere Kunst. Die Rahmung eines Bildes gehört ebenso dazu wie die Verhüllung großer Objekte durch Christo und Jeanne-Claude. Hier wird die Verpackung sogar zur Hauptsache am eigentlichen  Kunstwerk.

Verpackung soll aber zunächst zweckdienlich sein, das heißt: Sie soll ihren Inhalt   beschreiben, bewerben und schützen. Dies birgt aber auch Konfliktstoff, denn die Werbung soll - zumal bei Konsumartikeln - verkaufsfördernd sein und geht damit  häufig bis an die Grenze der Zumutbarkeit oder nutzt „alternative Fakten“ (Beispiel: Haarwuchsmittel, Schlankheitskur, Nahrungsergänzung ). Denn wenn der Inhalt schlechter ist als auf der Verpackung zugesagt, dann mutiert sie zur Tarnung bis hin zur Täuschung. Dieses Prinzip kannten schon die alten Griechen, dem die Trojaner mit dem sprichwörtlichen Trojanischen Pferd auf den Leim gingen. Der Inhalt war zumindest in diesem klassischen Fall eine böse, wenn auch genial durchgeführte Überraschung.

Nicht ganz so schlimm verhält es sich, wenn Menschen sich eine Art von „Verpackung light“ zulegen. Dies beginnt bei Kosmetik und Tattoo und endet bei der Schminke eines Pantomimen. Im Theater gehören Schminke, Maske und Camouflage ebenso zum Tagesgeschäft wie das Bühnenbild. Was wäre ein Theaterstück ohne sie?

Aber stets bleibt die Frage: Hält der Inhalt, was die Verpackung verspricht?

Neben den menschlichen Spielarten bei der Verpackung weist auch die Natur ähnliche Verhaltensmuster auf. Das zeigen in der Tierwelt die ausgefallensten Methoden der Tarnung sowohl bei Jägern als auch bei Gejagten oder die Gabe eines  Chamäleons, seine Hautfarbe zu wechseln ebenso wie der Werdegang eines Schmetterlings, der nach seinen Zwischenstationen als Ei, Raupe und später verpackt als Puppe schließlich seine unglaubliche  Metamorphose durchläuft, um dann in Schönheit und Leichtigkeit zu enden.

Die Kunst des Verpackens zeigt sich auf vielfältige Weise und ähnelt einer Matrjoschka-Puppe: Inhalt und Verpackung werden dort eins und verschmelzen ineinander.

 

Juli 2021

Slapsticks

Der ZDF-Mann Christian Sievers ist nicht nur als Nachrichtensprecher sondern auch für seine augenzwinkernde Berichterstattung bekannt. Vor einigen Tagen brachte er am Ende seiner Sendung noch ein „UPS“ auf Picasso aus, den Übervater der modernen Kunst, und berichtete, dass in Athen ein echter Picasso, der 2012 gestohlene Frauenkopf von 1946 (Schätzwert 16,5 Mio EUR), wieder aufgetaucht sei. Eine Präsentation der Athener Polizei zeigte dann auch das schräg aufgestellte  Bild, das - Schreck lass nach!- vom Tisch rutschte und auf den Boden fiel, jedoch ohne Schaden zu nehmen. Kommentar von C. S.: Nun hat das Bild so viele Tage unter Plastikfolie im Gebüsch gelegen, da hat es diesen Schlag wohl auch noch aushalten können.

Man fühlt sich an das berühmte Bild von Marilyn Monroe (1954 auf einem Lüftungsgitter in Manhattan) erinnert, wo ihr schönes weißes Kleid zur Freude der Zuschauer von dem kräftigen darunterliegenden Gebläse emporgehoben wird.

Oder an Prince Charles, der vor einigen Jahren in Australien eine Rede hielt und daran erinnerte, dass man niemals fluchen sollte. Gerade in diesem Moment kommt ein Windstoß, der sein Redemanuskript wegbläst. Darauf Prince Charles: Verdammt und zugenäht! Natürlich auf Englisch.

Möge uns das ZDF doch hin und wieder Slapsticks ähnlicher Klasse präsentieren. Es muss ja nicht immer nur über Schlimmes berichtet werden.

 

Juni 2021

Salvator Mundi

Dieses ikonenhafte, auf Walnussholz gemalte Bild im Format 65,6 x 45,4 cm wurde um das Jahr 1500 angefertigt und zeigt Jesus als Erlöser der Welt mit segnender rechter Hand und Glaskugel in der Linken. Es soll von Leonardo da Vinci selbst oder von einem seiner Schüler gemalt worden sein.

2005 wurde das im Lauf der Jahrhunderte stark in Mitleidenschaft gezogene Bild in New Orleans für 1175 Dollar an den New Yorker Kunsthändler Robert Simon verkauft. Die Restauratorin Dianne Modestini, Professorin an der New York University, bearbeitete das Bild im Auftrag von Simon über einen Zeitraum von etwa 2 Jahren. Experten zufolge wurde das Bild zunächst tatsächlich Leonardo zugeschrieben, und es folgten umfangreiche Bemühungen, es meistbietend zu vermarkten. Ein echter, so spät wiederentdeckter Leonardo, von dem nur noch etwa 15 verschiedene Originalbilder existieren, sei ja schließlich eine Weltsensation.

Der Schweizer Kunstberater Yves Bouvier verkauft das Bild zunächst im Jahr 2013 für 127,5 Mio Dollar an den in Monaco lebenden russischen Oligarchen (und zyprischen EU-Bürger) Rybolowlew. 4 Jahre später kommt es bei Christie´s in New York für 450 Mio Dollar unter den Hammer.

Dann kommen aber doch Zweifel auf, ob es sich wirklich um ein Werk des berühmten Meisters handelt, und es folgen politische Querelen sogar auf höchster Ebene zwischen Frankreich und Saudi-Arabien, die beide noch Größeres mit dem Bild vorgehabt hätten. Das alles trägt mittlerweile Anzeichen einer ausgewachsenen Räuberpistole. Wo sich das Bild heute befindet ist unklar. Manche tippen auf den saudischen Prinzen Mohammed bin Salman.

Der Filmemacher Antoine Vitkine hat zu dem Thema einen sehenswerten Dokumentarfilm gemacht, der im April 2021 von „France 5“ ausgestrahlt wurde. Sein Titel: The Savior for Sale. The Story of the Salvator Mundi. Der Film beschreibt eindrucksvoll die Strahlkraft eines (möglicherweise) bedeutenden Kunstwerks auf das gesellschaftliche Leben internationaler Prominenz. Da hätte wohl selbst Leonardo gestaunt.

 

Mai 2021

Joseph Beuys

Geboren in Krefeld am 12. Mai 1921, gestorben in Düsseldorf am 23. Januar 1986. J. B. war ein bedeutender Aktionskünstler und Kunsttheoretiker. Sein 100. Geburtstag im laufenden Monat gibt Anlass zu einem Rückblick, der, selbst wenn er viele Seiten umfassen würde, immer noch unvollständig wäre. J. B. war jedenfalls ein so herausragender Künstler, dass sein Geburtstag nicht unerwähnt bleiben kann.

J. B.´s erweiterter Kunstbegriff lautete in Kurzform: Jeder Mensch ein Künstler (Rede in den Münchner Kammerspielen, 1985). Dieses Credo vertrat er auch als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er entgegen den bestehenden Beschränkungen allen Bewerbern freien Zutritt zum Studium ermöglichte. Das führte allerdings bald zu seinem Rauswurf aus der Akademie durch die damalige NRW-Landesregierung unter Johannes Rau. Legendär auch seine „Fettecke“ mit 5 kg Butter in einem Raum der Akademie, die nach seinem Tod entfernt wurde. Dies führte zum Streit mit der Landesregierung und zu einem Gerichtsurteil, auf Grund dessen NRW 40.000 DM zu zahlen hatte. Außerdem wurde im Volksmund nun häufiger gefragt: Ist das Kunst oder kann das weg? Fett und Filzstoff wurden seit seinem Flugzeugabsturz im Jahr 1944 auf der Krim, den er nur knapp überlebte, seine Lieblingsmaterialien. In den folgenden Jahren wandte J. B. sich den anthroposophischenThesen Rudolf Steiners zu und verband diese mehr und mehr mit seiner Kunst bis hin zur Ausrufung seiner „sozialen Plastik“.

In dem Buch: Joseph Beuys, (Econ, 1996, Verfasser H. Stachelhaus) wird bemerkt: Er tat in Wahrheit immer das Andere, immer das, was scheinbar abwegig war: Leuten die Füße waschen, eine Partei der Tiere gründen, den Wald fegen oder dergleichen. Ganz zweifellos war Beuys eine bemerkenswerte Künstlerpersönlichkeit, geadelt auch durch große Auftritte in Deutschland (Documenta, Kassel) und international (USA, Japan). Wohl könnte er mit Duchamps (1917) zu Kunst erklärtem Toilettenbecken, mit Malewitschs Schwarzem Quadrat (1915) oder später und zu seiner Zeit mit Warhols Suppendose mit der Campbell´s-Werbung (1962) in eine Reihe gestellt werden, allesamt Zeichen sichtbarer Umbrüche und Umdeutungen in der Kunstwelt und wohl nur möglich mit verstärkter Berichterstattung und professioneller Vermarktung nach dem bekannten Motto: „Trommeln gehört zum Geschäft“.

Trotz oder besser gesagt: Wegen seiner vielen Widersprüche und Übertreibungen, aber auch wegen seiner ungezählten Kunstaktionen mit esoterischem Einschlag bleibt J. B. eine herausragende Galionsfigur des deutschen und internationalen Kunstbetriebs der vergangenen sechs Jahrzehnte.

 

April 2021

Eine Prise Ringelnatz

Wenn man sich auf den Schriftsteller, Kabarettisten und Maler Hans Gustav Bötticher, alias Joachim Ringelnatz (1883-1934) einlässt, kommt man aus dem Staunen und Schmunzeln nicht heraus. Obwohl er zweifellos in einer Zeit riesiger Probleme lebte und auch mit sich selbst große Probleme hatte, hat es dieser Meister der Satire und des poetischen Unfugs verdient, auch heute noch - oder besser: heute wieder - gelesen und zitiert zu werden.

Hier eine kurze Auswahl:

1. Aus: Hans Ritz: Die Geschichte vom Rotkäppchen, Muriverlag, Göttingen wird unter mehr als 30 Rotkäppchen-Versionen auch die Fassung von Ringelnatz beschrieben:
„Seine Umdrehung der Geschichte entspringt der Freude am moralischen Rollentausch und der sprachlichen Erzählkunst, die ein langes Seemannsgarn ausspinnt, um verschiedene Alltags- und Märchenelemente bunt zusammenzuknüpfen und den vertrauten Dingen eine verblüffende Wendung zu geben.“

2. Ringelnatz selbst meinte:

„Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“

3.  Kurz und bündig ist sein folgendes Gedicht:

 Die Schnupftabaksdose:

 „Es war eine Schnupftabaksdose
 Die hatte Friedrich der Große
 Sich selbst geschnitzelt aus Nussbaumholz
 Und darauf war sie natürlich stolz.

 Da kam ein Holzwurm gekrochen.
 Der hatte Nussbaum gerochen.
 Die Dose erzählte ihm lang und breit
 Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.

 Sie nannte den Alten Fritz generös
 Da aber wurde der Holzwurm nervös
 Und sagte, indem er zu bohren begann,
 Was geht mich Friedrich der Große an!“

Ob dem Holzwurm die alte Dose gut bekommen ist, wurde nicht überliefert. Aber anstelle weiterer Interpretationen ist vorstellbar, was Ringelnatz dazu anmerken würde:

„Soll sich mal jeder seinen eigenen Reim draus machen!“

 

März 2021

Sulawesi

Die Insel Sulawesi - früher Celebes genannt - gehört zu den Großen Sundainseln Indonesiens. Bereits vor einigen Jahren entdeckten Forscher im Maros-Pangkep Karst im Süden der Insel Felsmalereien, die nun auf das Rekordalter von 45.500 Jahren datiert wurden. Es handelt sich dabei vor allem um die lebensgroße Darstellung eines bereits damals gängigen Beutetiers, nämlich eines Warzenschweins, ausgeführt in dunkelroter Ockerfarbe.

Erstaunlich dabei ist, dass Tierbilder nahezu gleicher Datierung in der Höhle El Castillo südlich von Santander/Spanien gefunden wurden. Ein direkter kultureller Austausch zwischen Europa und Südostasien war damals eher unwahrscheinlich. Aber die im Prinzip bekannte Migration unserer gemeinsamen Vorfahren aus dem afrikanischen Sahel könnte die Begründung für diese thematisch so ähnliche Entwicklungsstufe der Menschen in den weit von einander entfernten Erdteilen sein.

Was die damaligen Menschen bewogen hat, derartige Bilder anzufertigen, lässt viel Raum für Vermutungen, aber dass solche Bilder bereits vor mehr als 40.000 Jahren überhaupt möglich waren, darf wohl als ziemlich besondere Leistung bezeichnet werden.

 

Februar 2021

Ruhig Blut

Das Thema Werbung sorgt immer wieder für Diskussionsstoff. Einerseits schätzt man farbige Vielfalt und originelle Ideen, andererseits fühlt man sich genervt von dem Gerangel um Aufmerksamkeit und den vorder- und hintergründigen Aktivitäten von Lobbyisten und Influencern. Eins steht fest: Ohne Werbung geht kaum etwas, egal ob es sich um ein neues Waschmittel, ein Auto mit Elektroantrieb oder die Vermarktung von Kunst handelt.

Wie schön, dass Werbung auch manchmal Anlass zur Heiterkeit bietet: So wurde - hier nur aus dem Gedächtnis nacherzählt - in einem Clip für eine norddeutsche Biermarke ein besonders eiliger Geschäftsmann mit Hut und Aktenmappe gezeigt, wie er einen Fähranleger hinunterrennt, um das ablegende Schiff noch zu erreichen. Die Gangway ist bereits eingeholt, aber er springt gerade noch über die Bordwand, um die Fähre nicht zu verpassen. Die Passagiere staunen Bauklötze. Der Fastmaker auf dem Schiff hat die Aktion natürlich beobachtet und spricht den eiligen Fahrgast an: „Nu man sutsche un ruhig Blut - hättscha man waaten könn, bit wi anlecht hebbt, soll heißen: Nun mal langsam und ruhig Blut - hättest ja auch warten können, bis wir angelegt haben.“

Was sagt uns das in Zeiten von Corona? Nicht verfrüht auf das Gaspedal treten, sonst ist ein Fehlstart vorprogrammiert. Auch wenn Ungeduld und Kritik an den erst  langsam anlaufenden Impfaktionen verständlich sein mögen. Verständlich ist aber auch, dass ein großes Schiff erst langsam in Fahrt kommt.

Ruhig Blut bewahren und nicht den Überblick verlieren, das dürfte auch hier nicht der schlechteste Tipp sein.

 

Januar 2021

Der Teppich

/Auf dem Teppich zu bleiben/ ist eine Lebensweisheit, die selten praktiziert aber häufig empfohlen wird. Kein Wunder - Teppiche gehören zu den ältesten Einrichtungsobjekten der Menschheit, aber - da meist auf dem Boden - auch zu den besonders strapazierten Gegenständen. Sie sind weder aus den Jurten asiatischer Steppenvölker noch aus modernen Wohnwelten wegzudenken.

Teppiche werden geflochten, gewoben oder geknüpft. Im Falle traditioneller Fertigung ist dies ein lange dauernder und gestalterisch anspruchsvoller Vorgang. Jemandem einen roten Teppich auszurollen, ist eine Ehrenbezeugung, die nur wenigen zuteil wird. So kann ein Teppich nach unserem Verständnis einen hohen Stellenwert erreichen. In Erzählungen, die auf persische Märchen - wie zum Beispiel Tausendundeine Nacht - zurückgehen, wird sogar von einem fliegenden Teppich berichtet.

Der älteste bekannte Teppich wurde im sibirischen Altai-Gebirge gefunden und ist etwa 2500 Jahre alt. Ein anderer weltberühmter Wandteppich mit etwa 70 Metern Länge zeigt die Einnahme Englands durch den Normannen: Wilhelm den Eroberer. Der Teppich wurde etwa um 1070 n. Chr. gefertigt und ist heute im französischen Museum von Bayeux zu bestaunen.

Bekanntlich ist aber /nicht alles Gold was glänzt/, und so ein Teppich hat - ähnlich wie die sprichwörtliche Medaille - eine beachtenswerte, wenn auch dunklere Rückseite. Diese Erkenntnis zieht sich ebenso durch unsere Kultur wie die Kunst des Teppichknüpfens selbst und bietet immer wieder neue Facetten. Es beginnt bei den eher harmlosen Varianten, wie zum Beispiel der Werbung und führt über Fake-News und alternative Fakten bis hin zu handfester Propaganda, perfektionierter Überwachung mit Gesichtserkennung und anderen Spielarten von ausgeklügelter Manipulation. Zweifelhafte Aktivitäten dieser Art von Teppichknüpferei wird man weiterhin gut im Auge behalten müssen.

Die aktuelle Haltung unserer britischen Freunde ist wohl leider dieser Kategorie zuzuordnen.
Die schöne Oberseite ihres Teppichs nennt sich dabei: Souveränität und Wahrung ihrer Einzigartigkeit. Versucht man hier doch ganz im Sinne politischer Propaganda, den Blick von der abenteuerlichen Kehrseite dieses Teppichs abzulenken. Zu den wahren Meistern des Fachs gehören aber die Chinesen, die sich seit Monaten bemühen, die Entstehung der Corona-Pandemie in der Millionenstadt Wuhan unter ihren eiligst geknüpften Teppich zu kehren, auf dass sich flüchtigen Betrachtern nur die schöne Oberseite zeigen möge. Man könnte dies auch als /die Perversion einer Fata Morgana/ bezeichnen.

All diese zweifelhaften Möglichkeiten der Teppichknüpferei werden mit Hilfe großer Datenmengen und deren digitaler Auswertung laufend weiter verfeinert. Welch schöne neue Welt!

Aktivitäten kritischer Mitmenschen lassen jedoch hoffen, dass ihr Bemühen um eine aufgeklärte, gerechtere Welt schrittweise zum Erfolg führt: Steter Tropfen höhlt  den Stein. Die Vorstellung von einem fliegenden Teppich könnte diesem Anliegen noch zusätzlichen Schwung verleihen.

Viel Glück im Neuen Jahr 2021!

 

Dezember 2020

Terre des Hommes

Die Lockheed F5 des berühmten Fliegers und Dichters Antoine de Saint-Exupéry verschwand am 31. Juli 1944 auf einem Aufklärungsflug von Bastia/Korsika über dem Mittelmeer aus zunächst ungeklärter Ursache.

Erst im Jahr 2000 wurden Wrackteile seines Flugzeugs südlich von Marseille entdeckt und identifiziert. Möglicherweise wurde er von einem deutschen Jagdflieger abgeschossen, aber auch andere Unglücksursachen sind möglich. Saint-Ex, wie ihn seine Fliegerkollegen nannten, wurde 44 Jahre alt und wollte ursprünglich zur französischen Marine gehen. Sein eingereichter Aufsatztext wurde aber zurückgewiesen.

Zur Ironie der Geschichte gehört die Verleihung des großen Romanpreises an ihn durch die französische Akademie 20 Jahre später. Inzwischen war Saint-Exupéry längst statt Marineoffizier begeisterter Langstreckenflieger geworden: Toulouse-Casablanca-Dakar sowie Postflüge innerhalb Nord- und Südamerikas.

Seine wohl bekannteste Geschichte: Der kleine Prinz erscheint 1943 in New York. Das Buch gehört mit 140 Millionen verkauften Exemplaren zu den erfolgreichsten Titeln der Weltliteratur und wurde in mehr als 300 Sprachen und Dialekte übersetzt.

Bereits 1939 war sein Buch: Terre des Hommes erschienen, deutscher Titel: Wind, Sand und Sterne. Es entstand während seiner Genesung von einem Flugunfall in New York. Eine deutsche Ausgabe aus dem Jahr 1952, bearbeitet von Fritz Taprogge, Düsseldorf, wurde erst kürzlich bei Aufräumarbeiten in einem älteren Wohngebäude wiederentdeckt. Taprogge gibt eindrucksvolle Zitate und Beschreibungen aus diesem Roman, und diese sind von überraschender Aktualität:

Es ist wirklichkeitsfremd, die technische Entwicklung aufhalten oder gar rückgängig machen zu wollen, aber es ist richtig, ihr eine Richtung zu geben und diese wird durch ein Ziel festgelegt. Das Ziel heißt: Wiederherstellung der Menschenwürde. Den Blick für die Wirklichkeit haben heißt nicht, dass man das Staunen verlernt hat. Saint-Exupéry benutzt dafür die märchenhaft-poetische Wortschöpfung: Sternenregenmesser, und er entdeckt in sich die sprachlichen Mittel, um das von Menschen zum ersten Mal (bei der Fliegerei) Geschaute und Erlebte mitzuteilen. Dabei bleibt er - wie seine Kameraden bezeugen - bescheiden, ja fast schüchtern.“

Und dann ist Krieg. „Der Krieg betrügt uns, denn der Hass erhöht das Hochgefühl des Kampfes nicht. Wozu Hass? Wir sind alle Schicksalsgefährten. Wir sind die Mannschaft eines Schiffs. Und wenn die Gegensätze der Kulturen wertvoll sind, weil sie immer neue Zusammensetzungen erlauben, so ist es ungeheuerlich, dass sie einander vernichten.“

In seinem Buch: Pilote de Guerre schreibt er: „Ich glaube an die Rechte des Menschen in jedem Individuum. Ich glaube, dass die Freiheit der Aufstieg des Menschen ist. Ich werde für den Menschen kämpfen, ich werde gegen seine Feinde kämpfen, aber ich werde auch für mich selbst kämpfen.“

Saint-Exupéry hat uns hier zweifellos einen wesentlichen Teil seines Vermächtnisses hinterlassen.


November 2020

Auf Tauchfahrt

Wenn man die täglichen Nachrichten verfolgt, stellt man fest, dass die Auswirkungen von SARS-CoV-2, alias Covid-19 die Gegenwart äußerst unübersichtlich erscheinen lassen und den gewohnten Gang der Dinge schon mächtig durcheinandergewirbelt haben. Nicht nur, dass Reisen und Versammlungen schwierig geworden sind und die medizinische Lage sich wieder dramatisch verschlechtert hat, sondern auch, weil Unsicherheit darüber besteht, ob und wann wirksame Impfstoffe gefunden werden, die in der Lage sind, die prekäre Situation zu stabilisieren.

Zur Zeit sieht es wie eine Tauchfahrt in unbekannte Gewässer aus. Dabei besteht das Abenteuer weniger im Mangel an Finanzhilfen oder anderen materiellen Dingen, sondern in der objektiven Auswertung der zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrungen und im psychologischen Management.

Viel wäre schon gewonnen, wenn wir uns nicht verwirren ließen von den schrillen Tönen und großen Sprüchen der „üblichen Verdächtigen“. Sinnvolle Regeln und beherztes Tun sind die besten Mittel gegen unerwünschtes Abdriften. Hierfür gibt es ausreichend Beispiele vor allem im medizinischen aber auch im kulturellen Bereich, wo Künstler Altgewohntes neu orchestrieren, zur inneren Einkehr einladen und zu neuen Ufern aufbrechen:

Dass auch der Kunstmarkt zwar eingeschränkt aber nicht tot ist, will Sotheby´s in New York beweisen: Alberto Giacomettis Grand Femme I, Bronze 2,68 m, gegossen im Jahr 1960, soll in den nächsten Tagen für mehr als 90 Millionen Dollar versteigert werden.

Besonders erwähnenswert ist auch der Umgang der Albaner mit ihren mehr als 170.000 Bunkern, die über das ganze Land verstreut während des sozialistischen Regimes unter Enver Hoxha bis zum Jahr 1983 errichtet wurden. Viele der meist pilzförmigen Anlagen werden als Werkstätten für bildende Kunst, Theater, Film und Musik genutzt. Für Albanien, das als das Armenhaus Europas gilt und wo es zur Zeit der Pandemie besonders eng zugeht, eine erstaunliche Leistung.

Was folgert man daraus? Die Pandemie ruft Veränderungen hervor, die wir uns bis vor kurzem nicht vorstellen konnten oder wollten, und in vielen Lebensbereichen wird es in naher Zukunft noch bedrohlicher zugehen.

Es bieten sich aber auch neue Chancen und man wird sehen, ob die alten Rituale nach Beendigung der Tauchfahrt komplett wiederbelebt werden oder ob neue Erkenntnisse bessere Lebensbedingungen und sorgsameren Umgang mit unseren Ressourcen hervorrufen werden.


Oktober 2020

Armut

Die Anzahl von Persönlichkeiten, die als Vorkämpfer und Verteidiger der Armen bekannt wurden, ist groß. Sie reicht von Jesus Christus und seinen Jüngern über die mittelalterlichen Mönche, wie Franziskus von Assisi, bis hin in die Neuzeit zu dem Inder Mahatma Gandhi, Mutter Teresa in Kalkutta oder dem Amerikaner Martin Luther King. Immer wieder lesen wir über die große Kluft zwischen Arm und Reich und dass diese trotz vielfältigster Bemühungen kaum abnimmt.

Kein Wunder, dass dies auch ein wichtiges Feld für künstlerisches Arbeiten ist. Zum einen weil die Künstler selbst in der Regel arm sind und daher genau wissen, was Sache ist, zum anderen weil sich heute auch prominente und damit einkommensstarke Künstler diesem Thema verschrieben haben. Der englische Graffiti-Künstler, bekannt unter dem Pseudonym Banksy, ist einer von ihnen.

Nun hat der US-amerikanische Magnum-Fotograf Matt Black zusammen mit dem Kurator Ingo Taubhorn eine Fotoausstellung in den Hamburger Deichtorhallen vom 25/09/2020 bis 03/01/2020 zu diesem Thema eröffnet: American Geography.

Hierzu schreibt die SZ: Die Hälfte der Amerikaner, die nie zur Wahl gehen, kommt in der Öffentlichkeit kaum vor. Sie leben dort, wo nichts übrig ist von dem großen patriotischen Versprechen, die Vereinigten Staaten seien das Land der machbaren Träume.

Black ist ein empfindsamer Beobachter, der die Tragödie solch unhaltbarer Versprechen treffend beschreibt, und zwar ohne die vielfach üblichen, schockierenden Motive, die doch immer nur sehr kurz das Elend der Menschen beleuchten, um dann umso schneller wieder zu verschwinden.

Es geht in seinen Fotografien um den Stolz der Armen, ihre Zähigkeit und die Zuneigung zu Menschen, die ansonsten unbeachtet bleiben.

Bleibt zu hoffen, dass sie am 3. November 2020 bei der Präsidentschaftswahl in den USA dennoch ihren Stimmzettel abgeben - wenn sie denn einen bekommen konnten.

 

September 2020

Riboca 2

Unter dieser Bezeichnung läuft vom 20. August bis zum 13. September 2020 in Lettland die Riga International Biennal of Contemporary Art, nachdem bereits 2018 die erste Biennale dieser Art in Riga stattgefunden hatte.

Riboca 2 war eigentlich für 5 Monate geplant, wurde aber nun wegen der Pandemie-Einschränkungen zeitlich begrenzt. Mutig immerhin, dass sie nun - wenn auch zeitlich verkürzt - unter strengen Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen in dem alten Hafen von Riga Adrejsala stattfindet.

50 Künstlerinnen und Künstler sind unter der Leitung der französischen Kuratorin Rebecca Lamarche-Vadel und der aus St. Petersburg stammenden Direktorin Anastasia Blokhina dort aktiv. So haben die Litauerinnen Lapelyte und Petraitis - Gewinnerinnen des Goldenen Löwen 2019 in Venedig - geschälte Baumstämme zu geometrischen Formen angeordnet und als Flöße ins Hafenbecken gesetzt. Die Amerikanerin Bridget Polk hat Steine und Industrietrümmer zu großformatigen Skulpturen zusammengefügt. Neben der Ausstellung können die Besucher die Dreharbeiten zu einem Film verfolgen, der die organisatorischen Probleme aber vor allem auch die künstlerischen Möglichkeiten dieser besonderen Riboca 2 aufzeigt.

Diese Live-Veranstaltung im Baltikum ist nicht nur bemerkenswert, weil sie trotz bekannter Einschränkungen überhaupt stattfindet, sondern auch weil sie eine friedliche Botschaft an das Nachbarland Belarus sendet, wo die Bevölkerung das stalinistische Erbe ihres Staates in diesen Tagen abstreifen möchte.

 

August 2020

Von Kreuzfahrern und Brückenbauern

Dass ein winzig kleines Virus in der Lage ist, unser tägliches Leben auf den Kopf zu stellen oder zumindest stark zu verändern, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Aber wie darauf reagieren, wenn man vor der Wahl steht: Geld oder Leben bzw. Einkommen oder Gesundheit, und wie das damit verbundene Risiko abwägen, für sich selbst, für die Familie oder für die Gesellschaft? Und man schaut sich um nach Vorbildern.

Eines davon könnte der italienische Unternehmer Giuseppe Bono sein, Chef der Fincantieri Schiffswerftengruppe in Genua und Neapel, Marktführer beim Bau großer Kreuzfahrtschiffe für Costa, Royal Caribbean, Norwegian, MSC, Ponant, Hurtigrouten und Hapag-Lloyd.

Nun liegt das Geschäft mit Kreuzfahrern und neuen Kreuzfahrtschiffen völlig am Boden und auch für diese Branche stellt sich die Frage: Wat nu?

Ist es nun Zufall oder Schicksal, dass die große Morandi-Brücke der italienischen Autostrada A 10 in Genua im August 2018 einstürzte? Bono setzte sich mit dem bekannten, heute in Paris lebenden Genueser Architekten Renzo Piano zusammen und plante den Neubau der 1100 m langen Brücke in der Rekordzeit von etwa einem Jahr mit 19 Brückenträgern aus Stahl mit einem Gesamtgewicht von 18.000 t, in ihrer Form ähnlich einem Schiffsrumpf.

Am 05.08.2020 soll die neue – San Giorgio genannte – Brücke für den allgemeinen Verkehr wieder freigegeben werden. Auch das ist Italien!


Juli 2020

Christo

Am 31.05.2020 verstarb im Alter von 84 Jahren in New York der in der Textilstadt Gabrowo/Bulgarien geborene Künstler Christo Wladimirow Jawatschew, der sich kurz Christo nannte.

Sein Vater, der dort eine Chemiefabrik besaß, förderte die künstlerischen Bestrebungen seines Sohnes bereits in frühen Jahren. 1968 stellte Christo auf der Documenta IV in Kassel einen mit Luft gefüllten Strumpf aus Trevira-Gewebe aus, was damals noch Unverständnis und Proteste hervorrief.

Berühmt wurde er jedoch erst durch seine riesigen Installationen und Verhüllungen von Großobjekten mit silbrig schimmernden oder safranorange-farbenen Kunststoffbahnen, wie Reichstag Berlin, Gates im Central Park New York, Floating Piers auf dem Lago d´Iseo in der Lombardei, The Wall mit 13000 lackierten Ölfässern in Oberhausen, um nur einige zu nennen.

Bemerkenswert ist, dass die für Christo so wichtige Farbe Safran im Chaldäischen und Syrischen „das Eingewickelte, Verwahrte“ bedeutet und in Bulgarien das Verhüllen von Christus-Ikonen gängiger Brauch ist. Insofern hat Christo die Kunst des Verhüllens wohl quasi geerbt und sie auf seine Art auf ausgewählte Großprojekte übertragen.

Zusammen mit seiner Ehefrau und Künstlerpartnerin Jeanne-Claude hat er alle großen Projekte geplant und ausnahmslos selbst finanziert. Im Herbst kommenden Jahres soll die von Christo bereits vorbereitete Verhüllung des Arc de Triomphe in Paris noch verwirklicht werden.

Was bleibt von Christos großartigen Projekten?

Es ist die zu Grunde liegende Idee, dass Bauwerke, Denkmäler oder Teile von Landschaften durch die ganz besondere Art der Umgestaltung zum Verweilen und Nachdenken Anlass geben und gleichzeitig an uralte Lebensformen und kulturelle Bräuche anknüpfen.

 

Juni 2020

Standpunkte

In der Literatur und in mündlichen Überlieferungen wird das Gleichnis von zwei arbeitenden Handwerkern erzählt. Es lautet etwa so:

Auf einer langen Chaussee kommt ein Wanderer in die Nähe einer Baustelle, auf der offensichtlich viele Menschen arbeiten.

Etliche sind dort im Wegebau tätig, und der Wanderer fragt einen von ihnen, was er dort tue. Der Mann brummt vor sich hin: „Ich klopfe Steine, das siehst Du doch.“

Der Wanderer geht seines Wegs. Nach einer Weile fragt er einen zweiten Mann, der auf ähnliche Weise beschäftigt ist, und er fragt abermals: „Was tust Du da ?“

Seine Antwort klingt deutlich anders: „Wir bauen hier gemeinsam eine große Kathedrale.“

Nun ist nicht bekannt, ob die Befragten zum gleichen Tarif arbeiteten.

Aber die unterschiedlichen Standpunkte fallen doch ins Auge und könnten Anlass für weitere Überlegungen sein.

 

Mai 2020

Peter F. und die Perlentaucher

Wenn man in diesen Tagen auf die Straße schaut – egal ob auf dem Lande, in der Stadt oder auf der Autobahn – fühlt man sich zurückversetzt in die frühen sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Schön, die Autos verfügen heute über eine bessere Technik und sehen auch ganz anders aus. Dennoch verbreiten auch sie zur Zeit auf ihre Weise ein längst nicht mehr gewohntes Gefühl von Ruhe und Gelassenheit, und man besinnt sich auf die große Epoche des Rundfunks und das Aufkommen eines neuen Mediums: Fernsehen, zuerst in Schwarz-weiß, später dann farbig.

In diese Zeit fällt auch das Bekanntwerden einer herausragenden Figur, die es wie niemand sonst verstand, das Publikum geistreich zu unterhalten und zum Lachen zu bringen: Peter Frankenfeld, genialer Cartoonist von Sprach- und Schauspielkunst und unermüdlicher Pionier von Sketch und Gag, dem ein breites Publikum aller Couleur zu Füßen lag. Leider 1979 bereits im Alter von 66 Jahren verstorben, aber dennoch schnell gegenwärtig bei einem kurzen Blick in die Vergangenheit.

Zusammen mit dem NDR-Regisseur Heinz Dunkhase machte Peter Frankenfeld das Klamaukstück „Dinner for One“ mit Freddy Frinton und May Warden im Jahr 1963 über Nacht in Deutschland bekannt. Unvergessen seine amüsanten Radiogeschichten und späteren Fernsehauftritte als Showmaster, mehrfach auch gemeinsam mit Größen wie Peter Alexander, Hans-Joachim Kulenkampff und Rudi Carrell. Sie und ihre Zeitgenossen gehören zu den Protagonisten der Unterhaltungsindustrie.

Dass mit dem Medium Fernsehen mittlerweile immer mehr Massenware produziert und gesendet wird, kann man ihnen nicht vorwerfen. Betrüblich bleibt allerdings, dass die auf ihren Ideen aufbauenden, gängigen Unterhaltungsformate mehr und mehr zu Konsumware verkommen und sich häufig nur noch selbst beklatschen.

Bleibt zu hoffen, dass die Andersdenkenden ihre kritische Position beibehalten, die eingefahrenen Gleise zu verlassen und sich weiter als Schatzsucher, Goldgräber oder Perlentaucher ihres Fachs betätigen.

 

April 2020

Bremse statt Gaspedal

Über Jahrzehnte waren wir gewohnt, immer stärker auf das Gaspedal zu treten. Nun musste ein Bremsvorgang eingeleitet werden, bei dem Reifen quietschten und Bremsen qualmten: Das für Menschen unsichtbare Coronavirus Covid-19 hat mitdiesem Bremsmanöver innerhalb von zwei Monaten völlig neue Maßstäbe gesetzt:Die Regierungen der betroffenen Länder ordneten eine tiefgreifende Stilllegung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens an, und betroffen werden im Lauf der weiteren Entwicklung nahezu alle sein.

Da stellen sich Fragen, deren Antwort noch gefunden werden muss: Welche Medikamente werden wann zur Verfügung stehen? Wie sieht unser Leben in einigen Monaten aus? Wie geht es weiter mit den Lieferketten, der Globalisierung, dem Flüchtlingsproblem, der Klimaveränderung, den politischen Systemen? Was tut der Reiseunternehmer, der Friseur, der Hotelbetreiber, der Theatermann, wenn sein Betrieb stillsteht?

Ja, es gibt Gott sei Dank etliche Menschen, welche die Versorgung und Betreuung der Bevölkerung am Laufen halten und bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gefordert sind, und es gibt zahlreiche Freiwillige, die helfen, wo Not am Mann ist. Aber auch wenn man zu denen gehört, die sich mehr oder weniger ausgebremst sehen, kann man überlegen, ob ein derartiger Beinahe-Stillstand für irgendetwas gut ist.

Wenn man sich beispielsweise vor Augen führt, wie zögerlich die - für manche immer noch nicht vorhandene - Klimakrise bisher behandelt wurde, kann man nun sogar erkennen, dass Covid-19 hier innerhalb weniger Wochen - wenn auch unter Zwang - viel bewegt hat. Und auch wenn die mit Ausgehbeschränkungen verbundene räumliche Beengtheit zunächst ungewohnt sein mag, kann der Stillstand zu neuen Denk- und Handlungsweisen führen. Die Beschäftigung mit neuen Formen des Lernens oder mit Literatur, Musik und bildender Kunst mag in der gewohnten Form zwar eingeschränkt sein, ist aber mittels hochentwickelter Kommunikationstechnik dennoch möglich und durch das nun zur Verfügung stehende Mehr an Zeit sogar erweiterbar. Mag die geplante Reise nach Neuseeland nun aus zwingenden Gründen vorerst entfallen. Lagerkoller, Langeweile oder andere Fehlentwicklungen sind dennoch vermeidbar.

Geben wir unseren Medizinern, Forschern und Wissenschaftlern die Zeit, die sie benötigen, um die richtigen Antworten zu finden und arbeiten selber verstärkt daran, uns sinnvoll zu beschäftigen in dieser vom Coronavirus so stark geprägten Zeit.

 

März 2020

As slow as possible

Ein Blick in die Vergangenheit lässt erkennen, dass unser Leben immer schnelleren Veränderungen unterworfen ist. Zu deren Bewältigung werden zahllose Konzepte angeboten: Von sportlicher Betätigung, naturnaher Ernährung bis hin zu Meditationsübungen.

Auch die Beschäftigung mit Kunst kann zu neuen, vielleicht heilsamen Entdeckungen führen. Wenn man von Gebrauchskunst oder bloßer Dekoration einmal absieht, steht das Einzigartige, Unerwartete, Experimentelle gepaart mit neuartigen Sichtweisen im Vordergrund. Zu den herausragenden Protagonisten dieser Richtung gehören: Yves Klein, Robert Rauschenberg, Joseph Beuys oder John Cage. Kunst, Provokation und bloßer Unfug sind bei ihnen nicht eindeutig zu trennen, und der interessierte Betrachter fühlt sich manches Mal in Andersens bekanntes Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ versetzt.

Doch gibt es auch immer wieder Projekte, die uns in ihren Bann ziehen und staunen lassen: Seit dem 5. September 2001 wird das langsamste Orgelstück der Welt: „As slow as possible“ von John Cage aufgeführt, und zwar in der St.-Burchardi-Kirche in Halberstadt. Es soll am 4. September 2640 enden, also insgesamt 639 Jahre dauern.

Gleich nach dem Start hörte man 17 Monate lang nur das Pumpen des Blasebalgs. Seit 2013 ist ein Dauerton aus fünf Orgelpfeifen zu hören. Bisher veränderte man den Klang  13 Mal, also ein Mal innerhalb von 1 bis 2 Jahren. Der erste Hauptteil des Konzerts wird am 5. September 2072 enden.

Nun muss das Ganze am Laufen gehalten und begleitet werden: Organisatorisch, pflegerisch und natürlich auch finanziell. 19 Jahre lang klappt das nun schon, aber 620 sind es noch und die Mannschaft um Rainer Neubauer, 66 Jahre alt, Professor für Politikwissenschaft, ist zuversichtlich, dass es irgendwie weitergehen wird. Schließlich sei die Bauzeit für den Kölner Dom 632 Jahre gewesen. Für das Projekt in Halberstadt und seine Anhänger jedenfalls ausreichend Zeit zur Entschleunigung und Meditation.

Sponsorentafeln können für 1200 Euro pro Stück erworben werden. Über 500 Stück sind bereits verkauft. Kein Zweifel, das Projekt ist nicht nur langsam, sondern hat auch Tiefgang. Ob es 620 Jahre überdauert, wäre abzuwarten.

 

Februar 2020

Alchemie

Im August 2019 zeigte der amerikanische Künstler Joe Ramirez in Berlin eine  Mischung aus Film, Malerei und Skulptur mit dem Titel „Gold Projections“. Hierbei benutzte er meterhohe, vergoldete Scheiben als Projektionsträger. Das Verfahren wurde patentiert, nachdem Wim Wenders ihm zu einer Patentanmeldung geraten hatte. Bereits zwei Jahre früher wurden die „Gold Projections“ auf  der 67. Berlinale als Prolog zur Ausstellung „Alchemie, die große Kunst“ gezeigt.

Alchemie ist mehr als die Suche nach künstlichem Gold, denn hier treffen die Vorläufer der heutigen Disziplinen von Pharmazie, Medizin, Naturwissenschaft, Philosophie und Kunst zusammen. Wer sich einmal im Apothekenmuseum im Heidelberger Schloss umgesehen hat, wird dies bestätigen. Dort sind Arzneimittel und Verfahrenstechniken zu bestaunen, die mitten in die Zeit der Alchemie bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen.

Blickt man noch weiter zurück, so liefert ein Fund aus der Bronzezeit eine Vorstellung von der damaligen Entwicklungsstufe mitteleuropäischer Menschen: Bei Nebra, nahe Halle in Sachsen-Anhalt wurde im Jahr 1999 eine etwa 4000 Jahre alte Himmelsscheibe mit einem Durchmesser von etwa 32 cm aus Bronzeguss gefunden. Sie gilt als Meisterwerk damaliger Handwerkskunst und gibt mit ihren 32 Einlagen aus Gold und exakten Darstellungen von Sternbildern Hinweise auf Terminierungen für Aussaat und Ernte, die für die Landwirtschaft von Bedeutung sind. Außerdem konnten die Herkunft der verwendeten Metalle festgestellt und dadurch die Routen damaliger Handelswege bestimmt werden.

Hier schließt sich ein Bogen beginnend mit den Anfängen praktizierter Metallverarbeitung vor 4000 Jahren bis hin zu den zauberhaften „Gold Projections“ von Joe Ramirez, und dazwischen eine über viele Jahrhunderte betriebene Alchemie mit ihren unzähligen Experimenten, Irrwegen und Entdeckungen.

In einer Beschreibung zum Prolog der 67. Berlinale wird die Alchemie zu Recht als Schöpfungsmythos wesensverwandt mit künstlerischem Schaffen bezeichnet.

 

Januar 2020

Die Spielarten von Blau

Blau ist die Farbe des wolkenlosen Himmels. Sie entsteht aus dem Schwarz des Weltalls, und dem Licht der Sonne, welches die gasförmige Hülle der Erde durchdringt. Diese Hülle ist,  verglichen mit dem Erddurchmesser von etwa 12750 km, nur wenige hundert Kilometer dick. Aber ohne sie wäre ein Leben auf unserem Planeten nicht möglich.

Blau ist auch die Farbe der Ruhe, Entspanntheit, Assoziationen und schweifenden Gedanken. In den Liedern der afroamerikanischen Sklaven vermischt sich dieser Blauton mittels Gesang weiter zur melancholischen Klage: dem Blues.

Sachlich gesehen ist Blau nur ein Stoff, der allerdings früher wie heute besonders begehrt ist. Heute ist - neben Indigo, Preußisch- und Kobalt-Blau - Ultramarin ein häufig verwendetes Blau. Es wurde im Mittelalter aus persischem Lapislazuli gewonnen und sogar mit Gold aufgewogen, so berichtet von dem berühmten Allround-Künstler Albrecht Dürer. In Brennöfen wird Ultramarin bereits seit 1828 unter Verwendung von Schwefel, Soda und Kaolin hergestellt. Das Schindler´sche Blaufarbenwerk im sächsischen Erzgebirge gilt als weltweit älteste Produktionsstätte für Kobaltblau und Ultramarin. Heute befasst man sich dort im wesentlichen mit der Weiterverarbeitung von Farbpigmenten.

Auch in der belebten Natur gilt Blau als Besonderheit. Die Suche nach der blauen Blume oder die blau glänzende Pfauenfeder, welche besonders die gefiederten Damen beeindrucken soll, sind hier zu nennen. Die Pfauenfeder zeigt ihre Blautönung allerdings keineswegs durch Pigment sondern allein (wie beim Regenbogen) durch Lichtbrechung. Dies lockt leider auch Fressfeinde an, und so kann zur Schau getragene Schönheit auch unangenehme oder sogar dramatische Folgen haben. Ob hieraus nun das Wort vom „blauen Wunder“ entstanden ist, kann nur vermutet werden. Auch eine „Fahrt ins Blaue“ kann ja mit einem blauen Auge enden.

Zu den Spielarten von Blau gehört auch der Name Münchhausen: Da ist zunächst der Balladendichter Börries Freiherr von Münchhausen. Er verfasste das Gedicht: Das alizarinblaue Zwergenkind. Es wurde früher häufig an unseren Grundschulen vorgelesen. Außerdem ist Alizarin ein wichtiger Grundstoff für die Herstellung vieler synthetischer Farben.

Aber Börries hat ja noch einen wesentlich älteren, entfernten Verwandten: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, in Nachschlagewerken (heute eher bei Google) der „Lügenbaron“ genannt. Hieronymus wurde erst so richtig berühmt durch seine abenteuerlichen Geschichten, die er wohl bei Tabaksqualm und geistigen Getränken auf seinem Gut im Weserbergland zum Besten gab und so buchstäblich das „Blaue vom Himmel“ holte. Sein Reitpferd nach scharfem Ritt durch das Stadttor wurde vom fallenden Gitter halbiert und konnte dennoch wenig später seinen Durst löschen - allerdings lief das Wasser hinten geradewegs wieder heraus. Die hintere Hälfte wurde kurz daraf wieder sauber angeheftet und vernäht. Der Reiter Münchhausen auf seinem halben Pferd sitzend steht heute als Skulptur im Freigelände des Münchhausen-Museums zu Bodenwerder am Weserufer. Seine Geschichten wurden zu einem Welterfolg. Leider war er finanziell daran nicht beteiligt. Im Mai 2020 jährt sich sein Geburtstag zum dreihundertsten Mal.

Möge ihm die Sonne einen wolkenlos blauen Himmel bescheren.

 

Dezember 2019

Los Angeles & Co.

Los Angeles, abgekürzt L.A. verfügt als größte Stadt Kaliforniens über ausgeprägtes Hollywood-Flair, Start-Up-Image und endlose Verkehrsstaus. Der spanische Name, in Deutsch: die Engel, entstammt der Stadtgründung durch die Spanier im Jahr 1781. Heute beschäftigt man sich dort allerdings weniger mit Engeln sondern mehr mit Oscar-Preisträgern.

Dennoch hat sich der Ruf nach Engeln, Schutzengeln und ähnlichen Begleitern in vielen Ländern bis heute erhalten. Dies wird in der Zeit vor Weihnachten besonders deutlich. Man stellt sich Engel als göttliche Boten mit großen Flügeln vor, die als Symbol für seelisch-geistige Flugübungen gelten.

Wo solche Engelsflügel erstmals erdacht und dargestellt  wurden, ist nicht eindeutig belegt. Aber bereits in den Religionen Mesopotamiens gab es solche “Halbgottheiten“, und neben dem Christentum kennen auch andere Religionen wie der Islam solche rätselhaften Wesen.

In der Zeit der Aufklärung, also seit dem 18.Jahrhundert, ging die religiöse Darstellung von Engeln zunächst deutlich zurück. Aber seit Ende des vorigen Jahrhunderts zeigten Luxusmarken für Mode extrem schlanke, durchtrainierte Models mit Engelsflügeln und Kunstwerken mit diamantenbesetzten Dessous, deren Stückpreise bei mehreren Millionen Dollar lagen, für Weihnachten in Amerika also schon recht hübsche „Appetizers“.

Nun hat sich der Wind abermals gedreht: Die /Victoria´s Secret Fashion Shows, New York/ und damit das Vorzeigen weiterer Luxusdessous mit Diamanten und ähnlichen Pretiosen wurden abgesagt. Die besagten Supermodels haben sich als Repräsentanten derartiger Designs inzwischen doch als zu abgehoben erwiesen.

Eine neue Diversität ist nun in Sicht: Schlank und sportlich ist zwar immer noch angesagt, aber auch andere Maße wollen Beachtung finden. Ob diese Formate sich dann noch zum Tragen von Flügeln eignen, wird man erst noch herausfinden müssen. Man möchte hoffen, dass damit nicht gleich der Flug des Ikarus riskiert wird.

Im Grunde könnte man von solchen geflügelten Experimenten auch ganz absehen, Vögel sind dafür einfach besser geeignet. Wichtig für Weihnachten bleibt aber allemal der vertraute Duft von Tannenbaum, Kerzenschein und Bratapfel. Und wenn dann die bekannten Weihnachtslieder gesungen, Bastelarbeiten bestaunt und die Geschichten von Christi Geburt vorgetragen werden, ist die Welt für eine Weile wieder ganz in Ordnung.

 

November 2019

Glück und Glas

Neben der hinlänglich bekannten Volksweisheit, dass sowohl Glück als auch Glas leicht zu Bruch gehen, gibt es eine aufschlussreiche Verbindung dieser zwei Begriffe, zumindest dann, wenn man mit Glück eine überschießende Menge an Geld bezeichnet, die zwar nur wenigen Menschen zur Verfügung steht, aber den Kauf extremer Luxusgüter ermöglicht. Dies lässt sich gut an einer Entwicklung zeigen, über die im September 2019 anlässlich der Monaco Yacht Show im Port Hercule von Monte Carlo berichtet wurde:

Der Trend bei dieser Veranstaltung der Superlative geht eindeutig zu immer größeren und selbstverständlich auch teureren Schiffen. Gehörten vor einigen Jahren noch Schiffe um die 70 Meter Länge zur Spitzenklasse, so sind es nun mit 90 Metern bereits deutlich größere Formate. Das größte Exponat in 2019 war die von Lürssen, Bremen/Rendsburg  gebaute „Tis“ mit einer Baulänge von 111 Metern. Der Verkaufspreis für die „Tis“ soll bei 150 Mio Euro aufwärts liegen. Nun mag man zu derlei Luxus stehen wie man will, aber die Frage muss erlaubt sein: Was wäre die Welt ohne Steigerungen nach dem Motto: Superlativ schlägt Komparativ? Denn es fällt ja immer etwas ab, oder wie die Lateiner schon sagten: Semper aliquid haeret, sprich: Irgendwas bleibt immer hängen.

Bei den erwähnten Luxusyachten trifft dies für den Baustoff Glas zu, dessen Basisrezept bereits seit mehr als 3.000 Jahren bekannt ist: Quarzsand, Soda und Kalk vermengen und bei etwa 1000 °C gut durchwärmen. Schier unglaublich, was daraus heute alles hergestellt wird: Neben Gefäßen und Schmuck vor allem Bauteile für Optik und Medizin, Glasfasern zur Datenübertragung und Festigkeitssteigerung, Schaumglas zur Wärmedämmung so wie Spiegel und Fensterelemente für Fahrzeuge und Bautechnik. Und das alles bei vielfältigsten Formen, Farben und Konstruktionsmöglichkeiten.

Am Beispiel der Luxusyachten wird nun bezüglich des Baustoffs Glas eine Entwicklung erkennbar, die vor ein paar Generationen noch undenkbar schien: Räumlich gekrümmte Verbundglaselemente bis zu einer Länge von 15 Metern, die natürlich den auf See üblichen, extremen Belastungen standhalten müssen.

Nicht zuletzt sind es Designer, die der Einzigartigkeit solcher Megayachten Ausdruck geben, wie beispielsweise der Norweger Espen Øino, die Engländer Martin Francis und Terence Disdale oder der Kanadier Greg Marshall, jeweils spezialisiert auf die Außenhülle oder die Inneneinrichtung solcher Luxusschiffe.

Darüber hinaus sei erwähnt, dass die aufwändige Außenfassade der Hamburger Elbphilharmonie und der gesamte Apple Store in der 5th Avenue New York ohne die innovativen Glasbauer in dieser Form nicht möglich gewesen wären.

Glück und Glas liegen insofern durchaus auf einer Linie. Und was sind schon 150 Mio Euro für eine Luxusyacht von 111 Metern Länge, wenn ordentliche Bilder von Leonardo da Vinci oder Pablo Picasso mindestens genau so viel kosten?

 

Oktober 2019

Deep Blue

Der Ausdruck Deep Blue weckt Assoziationen an eine ruhige See mit tiefblauer Färbung, vielleicht Capris Blaue Grotte oder eine Höhle im Gletschereis von Island. Allerdings würde diese Deutung hier in die Irre führen. Als Deep Blue wurde vielmehr eine Maschine von IBM bezeichnet, die für das Schachspiel unter extrem hohem Aufwand von etlichen Experten programmiert worden war. In einer ersten Partie verlor Deep Blue im Februar 1996 noch gegen den damaligen Schachweltmeister Kasparow. Nach einer weiteren deutlichen Aufrüstung der Software verlor Kasparow jedoch sensationell im Mai 1997.

Diese Partie gewann besondere Beachtung in den Medien, weil es das erste Mal war, dass ein Computer unter Turnierbedingungen gegen einen amtierenden Schachweltmeister gewonnen hatte. Die Software berechnete bis zu 200 Millionen mögliche Figurenstellungen pro Sekunde. Jedoch war Deep Blue kein selbstlernendes System. An dieser Fragestellung wird bekanntlich weiter gearbeitet. Immerhin war Deep Blue der damalige Gipfelpunkt von künstlicher Intelligenz, verkürzt KI genannt. Dabei war es ja eigentlich gar nicht der Computer, der gegen Kasparow gewonnen hatte, sondern die Heerscharen von Programmierern und Betreuern im Hintergrund, die nicht nur den Computer gebaut und die Software geschrieben, sondern auch während der Partie noch assistiert und aktiv eingegriffen hatten.

Inzwischen ist die Entwicklung von KI weiter fortgeschritten: Man verfolgt den Plan selbstfahrender Autos und setzt – besonders in der VR China – Verfahren zur Gesichtserkennung und  - damit verbunden - zur Volkserziehung ein, um nur zwei Gebiete zu erwähnen, bei denen KI inzwischen eine bedeutende Rolle spielt.

Der Strukturbiologe Venki Ramakrishnan, Nobelpreisträger 2009 auf dem Gebiet der Chemie und derzeitiger Präsident der Royal Society in London glaubt allerdings nicht, dass KI in absehbarer Zeit die kreative Begabung der Menschen ersetzen wird.

Wie sagte ein bekannter Politiker kürzlich - augenzwinkernd - auf die Frage eines Reporters, ob er denn schon KI in seinem Ministerium einsetze: Ich wäre ja schon froh, wenn wir erst einmal mehr natürliche Intelligenz („NI“) einsetzen würden.

 

September 2019

Kultur, Handel und Wandel

In Hamburg konnte kürzlich der bekannte Kunsthändler und Auktionator Ernst Nolte seinen 80sten Geburtstag feiern, nachdem er bereits vor einigen Jahren das hochgeschätzte Auktionshaus Hauswedell & Nolte geschlossen hatte. Über 50 Jahre hatte er die Geschicke dieses Hauses geleitet. Wesentliche Teile davon wurden ins Zentralarchiv  (Zadik) nach Köln überführt. In einem Interview mit der „Zeit“ erwähnt Nolte, dass der Kunstgeschmack der Käufer sich signifikant geändert habe: „Heute liebt man die Farbe, das große Format,  geschätzt wird jetzt die Kunst, mit der man sofort Eindruck machen kann.“

Wie richtig diese Beurteilung ist wird klarer, wenn man die Planungen großer Städte betrachtet, die mit Architektur und Kunst aller Art wirksames Stadtmarketing betreiben. Abu Dhabi, New York, Shenzhen sind hierfür nur einige markante Beispiele, gefolgt von Rotterdam, Bilbao, Hamburg und vielen anderen. Da stellt sich die Frage, wie schnell sich denn Kultur überhaupt entwickeln sollte, ob sie denn nicht einen gewissen Reifeprozess durchlaufen sollte, um authentisch zu werden oder ob man sie einfach „von der Stange“ kaufen und überstülpen kann, um möglichst schnell Beachtung zu finden.

An Shenzhen, der Metropole am Perlfluss im Süden Chinas, mehr als 2.000 km von Peking
entfernt, kann man zu diesem Thema weiterführende Betrachtungen anstellen:
Vor 40 Jahren noch ein ärmliches Fischerdorf, heute mit inzwischen 13 Mio Einwohnern in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hongkong (7 Mio Einwohner) eine extrem schnell wachsende Wirtschaftsmetropole mit dem nach Shanghai und Singapur drittgrößten Containerhafen der Welt, einem Durchschittsalter der Bevölkerung von weniger als 30 Jahren und dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in China. Seit 2008 „UNESCO City of  Design“. Ein höchst attraktiver Gebäudekomplex für die „Design Society“ wurde von dem bekannten japanischen Architekten und Träger des Pritzker-Preises Fumihiko Maki gebaut. Das Victoria und Albert Museum (V & A)  leistete mit 70 Mitarbeitern aus London und etlichen Exponaten Unterstützung beim Aufbau der Design Society. Das riesige staatliche Konglomerat „China Merchants Group“ gilt als Initiator zahlreicher industrieller und kultureller Aktivitäten.

Kann man Kultur also kaufen und einfach überstülpen? Kaufen: Ja.
Einfach überstülpen: Kaum. Jedenfalls nicht, so lange der Wert von Kultur als Bezugspunkt und Katalysator für gesellschaftliche Entwicklungen nicht allzu leichtfertig vertan wird.

Das Beispiel Shenzhen zeigt zwar etliche Extreme kulturellen Wandels, liegt aber als Schmelztiegel sozialer und wirtschaftlicher Strömungen im Trend der Zeit. Die extreme Tempoverschärfung allein spricht nicht gegen Kultur, sondern macht Kultur vielleicht sogar notwendig, um den rasenden Umbruch erträglicher zu machen. Offenbar ist all dies jedoch nur möglich unter dem bekannten Schirm der chinesischen Politik mit ihrem autoritären Machtanspruch.

Der an den Anfang gestellte Hinweis von Ernst Nolte auf die zunehmend erwünschte schnelle Reaktion und Beachtung der Öffentlichkeit besteht also zu Recht und das Bewahren alter Gewohnheiten wird immer seltener möglich sein.

 

August 2019

Newo Ziro

Über die Sintifamilie der Reinhardts wurde schon viel berichtet. Da ist Django, der berühmte Gitarrist und Vertreter des französischen Swing, leider bereits 1953 verstorben. Da ist der Geiger Schnuckenack, bereits in den sechziger Jahren als neuer Paganini gefeiert und der heute 56jährige Lulo, ein herausragender Gitarrist, der dabei ist, die von Django bekannte Musik mit indischen Elementen zu verschmelzen. Seine neueren Projekte heißen: „Gypsy meets India“ und „Gypsy meets Persia“.

Tatsächlich kamen Sinti und Roma beginnend mit dem 15. Jahrhundert aus Indien über Persien nach Europa und ihre Sprache, das Romanes, ist verwandt mit dem Sanskrit, der wichtigsten Sprache im religiösen Hinduismus.

Lulo Reinhardt ist dabei, Weltmusik auf dem Land - ausgehend von seiner Heimatstadt Koblenz - zu fabrizieren, und wenn man seine Musik, beispielsweise zusammen mit dem Jazzgitarristen und Duopartner Daniel Stelter, im Internet aufruft, vergehen nicht Minuten sondern eher Stunden, bevor man hochgradig beeindruckt die Stoptaste drückt.

Trotz aller Berühmtheit ist Lulo Reinhardt immer noch persönlich und geografisch in seiner Scholle geerdet, und bekennt, obwohl er seit über 20 Jahren auch Flamenco spielt, dass er immer noch nicht verstanden habe, an welcher Stelle plötzlich alle „Olé!“ rufen.

Newo Ziro (in Romanes: Neue Zeit) ist der Titel des Dokumentarfilms von 2013, in dem Lulo Reinhardt seine Familiengeschichte rekonstruiert.

Wünschen wir ihm, dass sein musikalischer Aufbruch in die Newo Ziro weiterhin unter einem guten Stern stehen möge.

 

Juli 2019

Vintage, Retro, Nostalgie

Vintage als Marketing-Gag ist nicht gerade neu. Einen Anstoß dazu gab es bereits im Jahr 2001 als Julia Roberts im Rahmen einer Oscar-Verleihung mit einem 20 Jahre alten Kleid des Modedesigners Valentino Garavani auftrat. Die Vintage-Welle hat sich inzwischen offenbar neben der Mode noch auf weitere Bereiche ausgedehnt. Der Grund hierfür liegt wohl darin, dass eine Rückbesinnung auf alte, scheinbar vergangene Trends, Lebensgewohnheiten und Kultur-Begleiterscheinungen als Kontrapunkt zu den häufig mit heißer Nadel genähten vermeintlichen Neuheiten attraktiv erscheint. Experimente und Neuentwicklungen sollen dabei natürlich nicht gering geschätzt werden: Schließlich haben wir uns bereits in naher Zukunft enormen Herausforderungen und Fragen zu stellen, deren Klärung noch weitgehend aussteht. Doch ein Innehalten und Betrachten früherer Gegebenheiten mit einem Hauch von Vintage, Retro und Nostalgie könnte durchaus positive Wirkung entfalten. Jedenfalls hat das Interesse an diesem Thema nicht nachgelassen.

Beispiele hierfür gibt es genug, egal ob es sich um Kleidung, Wohnungseinrichtung, Oldtimerautos, Gebäudedesign oder Schätze aller Art handelt. So hat auch der Berliner Architekt Max Dudler in die Vintage-Kiste gegriffen, als er mit Stampfbeton die Fassade der Sparrenburg in Bielefeld gestalten ließ. Der optische Eindruck einer so hergestellten Wand ist überraschend lebendig und erscheint sogar neuartig, ist aber eigentlich Retro, da Stampfbeton als Herstellungsmethode wahrlich nicht neu, sondern eigentlich mit dem berühmten Opus Caementitium aus der Römerzeit bekannt ist.

Ähnliche Eindrücke lassen sich mit gealterten Holzbalken, handgeformten Ziegeln, gebrochenen Natursteinen, mundgeblasenen Gläsern, ja sogar mit langjährig gereiften Weinen erzielen, von denen die Bezeichnung Vintage ja stammen mag. Patina und Gebrauchsspuren haben eben einen eigenen Charme und manchmal sogar materiellen Wert.

Ob das steigende Interesse von Schatzsuchern und Wracktauchern an versunkenen Gegenständen hiermit zusammenhängt sei dahingestellt. Wenn man jedoch allein die körperliche Sisyphosarbeit von Archäologen bei Ausgrabungsarbeiten verfolgt, muss man annehmen, dass hier ein besonderes Bedürfnis besteht, alte Techniken und Gewohnheiten noch einmal nachzuvollziehen.

 

Juni 2019

New York, New York

Ob New York noch das Maß aller Dinge ist? Sehnsuchtsort für Migranten und Künstler, Schmelztiegel für Tellerwäscher, Barkeeper und Millionäre. Apokalypse der Zwillingstürme, inzwischen ersetzt durch das One World Trade Center. Waldorf-Astoria, Peggy Guggenheim, Leonard Bernstein, Baron Rothschild, Andy Warhol, Arthur Miller und viele Reiche und Schöne, die sich in Long Beach ein Häuschen oder in einem der vielen Wolkenkratzer ein Büro zugelegt haben. Christos goldgelbe Installation Gates im Central Park, Hudson- und East River, J.F.K. Airport, Wall Street, Manhattan und Harlem. Jazz, Swing, Carnegie Hall, Miss Liberty, MoMA, New York Times  und eine endlos erscheinende Kette von Assoziationen, Träumen und Katastrophen.

Dazu passt eine neue Installation der polnisch-deutschen Künstlerin Alicja Kwade mit dem Titel: ParaPivot: Schlanke, schwarz lackierte Stahlrahmen bestückt mit Kugeln aus verschiedenen Natursteinen ähnlich einem Planetensystem. Vielleicht hilfreich zu wissen: Pivot ist im engeren Sinn die Drehachse eines Geschützrohrs, kann aber auch ganz allgemein und unmilitärisch als Dreh- und Angelpunkt verstanden werden.

Seit 16/04/2019 ist ihre Installation auf dem Dach des Metropolitan Museums vor der höchst beeindruckenden Skyline New Yorks bis zum 27/10/2019 zu besichtigen.

 

Mai 2019

Künstler und  ihre Auguren

In Naturfilmen kann man hin und wieder einen riesigen Vogelschwarm bewundern, der wie eine Staubwolke bei ständig wechselnder Windrichtung aussieht, und man ist fasziniert von diesem erstaunlichen Naturereignis. Schon in der Antike erregte dieses Schauspiel die Aufmerksamkeit der Menschen, und bei den Römern versuchten Auguren (Vogelschauer) hieraus die Zukunft zu lesen.

Heute lernen wir, dass Greifvögel sich durch ein solch vermeintliches Chaos irritieren lassen, den Durchblick verlieren und daher nur geringe Chancen auf Beute haben.
Sei es nun die Schwarmintelligenz der Vögel, die für Greifvögel die Jagd erschwert oder eine besondere Art von Orientierung, welche die Vögel steuert, uns fehlt eine schlüssige Erklärung, auch wenn Naturforscher, Physiker und Mathematiker sich schon vielfach darum bemüht haben.

Künstler wie Max Ernst oder Joan Miró interessierten sich ebenfalls für die Grauzonen zwischen Erklärbarem und Verborgenem. Max Ernst, Altmeister der Surrealisten, bezeichnete das Arbeiten in dieser Denkweise als „befreiende Verfahren“.

Es fällt schwer, ein vielschichtiges Bild treffend und womöglich allgemeingültig zu beschreiben. Vielleicht liegt aber auch gerade darin der Reiz der Aufgabe, denn Legionen von Kunstsachverständigen befassen sich ja nach wie vor mit diesem Thema, und der Wert eines so besprochenen Exponats wird dadurch ja auch nicht gerade geschmälert. Der hochdotierte deutsche Maler Gerhard Richter erklärte allerdings: „Über Malerei reden, das hat keinen Sinn“, und Julian Schnabel, Maler und Filmemacher aus New York, meinte in einem Interview mit der FAZ vom 23/04/2019: „Es gibt Bilder, die einen vom ersten Moment an in ihren Bann ziehen. Das bedeutet, wir haben eine intime Beziehung zu diesen Bildern, obwohl wir vielleicht nicht erklären können, was wir darauf sehen. Und dieses Nichtwissen ist großartig!“

So bleibt die auch Verhüllung eines Kunstwerks schließlich eine besondere Kunst, die einem Kaleidoskop ähnlich immer wieder neue Einblicke und Denkanstöße liefert. Damit schreibt sie ihre unendliche Geschichte fort und bleibt spannend für die Auguren und das interessierte Publikum.

 

April 2019

Holz von Schiller

Bisher unbemerkt von der Presse jährt sich in diesem Jahr zum 220-sten Mal die Fertigstellung von Friedrich Schillers berühmtem Gedicht: Das Lied von der Glocke. Und es ist - auch aus diesem Anlass - durchaus lohnend, seine Entstehung und seinen Inhalt nachzulesen. Das Gedicht gilt ja seit jeher als wichtiger Teil deutschen Kulturerbes.

Das Lied enthält 30 Strophen verschiedener, zum Teil enormer Länge. Eine umfassende Behandlung würde hier natürlich den Rahmen sprengen, zumal dies ja auch bereits nicht gerade selten immer wieder unter den verschiedensten Gesichtspunkten erfolgt ist.

Als Besonderheit möge hier jedoch für Materialliebhaber und -kenner der Kommentar des ältesten Schillerschen Sohnes Karl Friedrich Ludwig von Schiller aufgeführt werden, der von Beruf Förster war: „Mein Vater war gewiss ein großer Dichter, aber von Holz hat er nichts verstanden, sonst hätte er in seinem Lied von der Glocke nicht geschrieben: Nehmet Holz vom Fichtenstamme. Denn das ist nun einmal das schlechteste Holz.“

Sicherlich wäre Hartholz eine bessere Wahl gewesen, da hohe Temperatur und sauberer Abbrand mit Buche oder Eiche wesentlich eher zu erreichen sind.

Nun - hier irrte Friedrich Schiller eben. Aber das macht ihn nur umso bekannter und liebenswerter. Schließlich haben Irrtümer (oder absichtliche Fehler?) schon häufig zu erhöhter Beachtung und Popularität geführt.

 

März 2019

Blackbeard & Co.

Vor der Ostküste der USA treffen der kalte Labrador Strom aus der Arktis und der warme Golfstrom aus dem Golf von Mexiko aufeinander und sorgen für eine besonders artenreiche Pflanzen- und Tierwelt. Extreme Verwirbelungen der Wasserströme, die ständig wechselnde Anhäufung von Sedimenten, Hurricanes und hohe (Monster-)Wellen sind typisch für diese Gegend, und bekannt ist das benachbarte Bermudadreieck, in dem Schiffe und Flugzeuge bis heute spurlos verschwinden. Allein vor der Küste Nord Carolinas sollen mehr als 2000 Schiffswracks liegen. Eine wahre Fundgrube also für Taucher und Geschichtsforscher.

Nun bestätigte David Morre, Kurator für nautische Archäologie am North Carolina Maritime Museum, Beaufort, nach etlichen Jahren archäologischer Kleinarbeit, dass es sich bei einem bereits 1995 vor Nord Carolina entdeckten Wrack tatsächlich um das Schiff des bekannten Seeräubers Edward Thatch, alias Blackbeard, vermutlich 1680 in Bristol, England geboren, handelt: Das Wrack mit seinen zahlreichen Fundstücken erzählt auf detaillierte Weise die Geschichte der damaligen Seefahrt mit den zahlreichen politischen Auseinandersetzungen in Europa und Amerika, insbesondere auch mit den grausamen Einzelheiten des Sklavenhandels.

Das Schiff war in Frankreich zunächst unter dem Namen „La Concorde“ als Kriegsschiff verwendet worden. Später wurde es als Sklaventransporter umgebaut, wurde im Jahr 1717 von Blackbeard gekapert und in „Queen Anne´s Revenge“ umgetauft. Im Jahr 1718 lief es jedoch vor Nord Carolina auf Grund. Blackbeard selbst wurde noch im selben Jahr von der Royal Navy unter Führung des Leutnants Robert Maynard an der Küste von Süd Carolina gestellt und getötet. Für einen Piraten also eigentlich ein erwartbares Ende.

Dennoch ranken sich um die Figur des Blackbeard so viele Mythen, Erzählungen und Ereignisse, dass sich eine weitere Beschäftigung bis zurück zu Francis Drake, Christoph Columbus und anderen historischen Berühmtheiten der Seefahrt empfehlen könnte:

So bieten Blackbeard & Co. einen außergewöhnlichen Tauchgang zu den Abenteurern und Entdeckern vergangener Jahrhunderte und eine weitere Möglichkeit der Reflexion bis hinüber in unsere Gegenwart.

 

Februar 2019

Von Kunst, Kommerz und allerlei Unfug

Unfug ist etwas, das sich nicht fügen will und das jenseits üblicher Regeln und Normen liegt. Er ist daher nur schwer zu fassen. Kunst ist wegen ihrer Unbestimmtheit noch schwieriger zu beschreiben und einzuordnen. Man greift bei ihr daher gern auf prominente Beispiele zurück. Kommerz dagegen lässt sich einfach in klingender Münze messen, ist somit also vergleichsweise unkompliziert zu handhaben. Bei aller Verschiedenheit sind alle drei jedoch stärker miteinander verwoben als man gemeinhin annimmt, und man könnte sich zur Veranschaulichung ihres Zusammenspiels ein Beziehungsdreieck mit wechselnder gegenseitiger Beeinflussung und „Schnittmenge“ vorstellen. Die folgenden Beispiele mögen dies verdeutlichen:

Ein Klassiker für Unfug - bis hin zu grobem Unfug - ist natürlich Till Eulenspiegel. Er lebte im 14. Jahrhundert in Norddeutschland, etwa in der Gegend zwischen Braunschweig und Mölln und verübte dort seine Schelmenstreiche. In einer Bäckerei stellte er sich - wie so häufig - bewusst dumm und backte, dem vermeintlichen Geheiß seines Meisters folgend, Eulen und Meerkatzen. Zur großen Überraschung des Meisters erwies sich dies im Ergebnis sogar als Verkaufsschlager. Dabei teilte sich Eulenspiegels Publikum immer in zwei Lager auf: Die einen amüsierten sich über die von ihm verulkten oder geprellten Leute. Diese wiederum waren meistens missgelaunt ob seiner derben Scherze. Bis heute gilt Till Eulenspiegel als Meister des Klamauks und eine der ersten Adressen unter den Narren und Unfugstiftern dieser Welt.

Ähnliches mag - angepasst an die heutige Zeit - auch auf den anonym auftretenden britischen Street-Art-Künstler Banksy zutreffen, der kürzlich während einer Versteigerung bei Sotheby´s in London sein „Girl with Balloon“ völlig überraschend durch einen im Bildrahmen verborgenen Apparat zur Hälfte schreddern ließ. Der ursprüngliche Kaufpreis des Bildes von zunächst etwa 1,2 Mio Euro soll infolge der enorm gesteigerten Publizität inzwischen auf den doppelten Wert hochgeschossen sein. Hier bietet das Trio: Kunst, Kommerz und Unfug umfangreiche Möglichkeiten zur weiteren Diskussion. Banksy hat das eigentliche Kernthema der bildenden Kunst hier zwar zu einer nahezu primitiven Performance umgebogen. Die Idee zu dieser Aktion war aber dennoch genial, und das Ergebnis grandios.

Nicht ganz so erfolgreich verläuft ein Projekt in Monheim am Rhein. Die Stadt plante, in einem Kreisverkehr einen Geysir nach dem natürlichen Vorbild Islands aufzubauen, der hin und wieder ausbrechen sollte. So gesehen also ein Stückchen Baukunst am Kreisel. Beim Anspringen des Geysirs sollte noch eine zusätzliche Ampel auf Rot geschaltet werden, um die Autofahrer nicht zu erschrecken und Ihnen Gelegenheit zum Betrachten des Spektakels zu geben. Da die Sache jedoch mit 415.000 Euro veranschlagt war, schritt der Bund der Steuerzahler ein und forderte die Verantwortlichen auf, die Angelegenheit noch einmal zu überdenken. Ob die geplante Attraktion schließlich realisiert wird, ist noch unklar. Monheimer Bürger haben sich bisher wenig amüsiert gezeigt. Genervte Steuerzahler und gestresste Verkehrsteilnehmer haben eben keinen Sinn für derartige Kunst im öffentlichen Raum und ziehen schnell Vergleiche mit den bekannten Schildbürgern oder anderen Unfugtreibenden heran. Dies mag man begrüßen oder bedauern. Ein Thema für die vor uns liegenden „tollen Tage“ wäre das Projekt allemal.

Wie verhält es sich nun mit dem Beziehungsdreieck von Kunst, Kommerz und Unfug? Vieles - häufig zu vieles - läuft heute schnurstracks auf Kommerz hinaus und genießt größtmögliche Aufmerksamkeit. Kunst und Unfug liegen offensichtlich abgeschlagen zu etwa gleichen Anteilen auf den weiteren Rängen. Das ist einerseits schade, andererseits tröstlich, und es bleibt dabei: Echte Kunst und gut gemachter Unfug sind rar. Man muss nach ihnen suchen.

 

Januar 2019

Gestern, heute, morgen

Ein Jahresanfang ist immer ein - wenn auch willkürlich gewählter - Einschnitt. Wenn in Auckland/Neuseeland der 1. Januar anbricht, geschieht dies in Honolulu/Hawaii erst 24 Stunden später. Dieser Termin ist auch für uns der Countdown für einen neuen Start: „Das Gestern“ ist nun Vergangenheit.

Wenn der Jahreswechsel ansteht, bereitet man sich auf „das Morgen“ vor. Vielleicht sinnt man auch ein wenig über die Bedeutung und das Wesen der Zeit nach und wundert sich, dass dieser Begriff ebenso vielsagend wie auch nichtssagend sein kann. Man mag sich ein Schiff vorstellen, auf dem man gegenwärtig - also heute - reist. Man schaut zurück in die Heckwelle und, wenn Licht und Witterung es erlauben, auf den dahinter liegenden Horizont. Vielleicht tauchen dabei auch Bilder vergangener Zeiten auf: Die eindrucksvolle Architektur von Stonehenge, die Himmelsscheibe von Nebra oder die astronomischen Aufzeichnungen von Galilei, Kopernikus oder Kepler, die intensiv daran gearbeitet haben, die Eigenschaften und den zeitlichen Verlauf der Gestirne immer besser zu beschreiben und zu verstehen.

Mit diesem Wissensschatz im Rücken gilt unsere eigentliche Aufmerksamkeit aber der Sicht nach vorn über den Schiffsbug hinaus. Denn dort liegt unser Ziel, und wir hoffen etwas zu hören wie: „Land in Sicht!“

Auch wenn die Küsten dieser Welt rein geografisch eigentlich alle bekannt sind, so ist doch nicht zu bestreiten, dass unsere Erde einem Wandel unterworfen ist, der sich langsam, aber mittels moderner Messmethoden klar nachweisbar, vollzieht und es wird womöglich ein verändertes Land sein, das wir mit unserem Schiff erreichen.

Die Beschäftigung mit dem Morgen wird uns auch im gerade begonnenen, neuen Jahr nicht loslassen. Aber es ist doch tröstlich, wenn ein Inuit in Grönland seinen Landsleuten vor vielen Jahren einmal unsere so oft bemühte Weisheit „Zeit ist Geld“ übersetzte mit: Eine Armbanduhr ist ziemlich teuer“.

Vielleicht war es nur ein Übersetzungsfehler, aber - auch möglich - der Hinweis auf eine andere Denkweise, die uns beim Start in ein neues Jahr für einen Moment innehalten lässt.

 

Dezember 2018

Kibera

Kibera - ein Stadtteil von Nairobi/Kenia - ist einer der größten Slums in Afrika. Es leben dort auf nur 2 - 3 Quadratkilometern mehr als 200.000 Menschen. Andere Zahlen sprechen von mehr als 1 Million, was jedoch lt. Volkszählung 2016 als übertrieben gilt. Insgesamt soll Nairobi etwa 3,5 Mio Einwohner zählen und vor allem durch extreme Zuwanderung aus den ländlichen Gebieten bis 2030 seine Einwohnerzahl verdoppeln. Berichten zufolge soll es hunderte karitativer Einrichtungen in Nairobi geben, die jedoch nicht oder nur unzureichend miteinander vernetzt sind. Die VR China hat sich - wie in vielen weiteren afrikanischen Ländern - auch in Kenia stark eingekauft und beispielsweise zu 90 % (3,4 Mrd. Euro) den Bau der 472 km langen Eisenbahnlinie Nairobi-Mombasa finanziert, die 2017 eröffnet wurde.

Tom Tykwer, bekannter deutscher Regisseur aus den Filmen „Lola rennt“, „Das Parfum“ oder „Babylon Berlin“ arbeitet gemeinsam mit seiner Ehefrau Marie Steinmann in Kibera mit einheimischen Jugendlichen und hat dort unter anderem den Film „Soul Boy“ gedreht, der dort begeistert aufgenommen wurde. Wenn man sich im Internet Filme über Kibera anschaut, wird schnell klar, dass neben den extremen Problemen: Armut, mangelnde Wasserqualität, gewaltige Müllprobleme, Krankheiten (vor allem HIV), mangelnde Bildung, Korruption und Kriminalität auch enormer Lebenswille erkennbar ist. Ja, man ist stolz, in Kibera zu leben, auch wenn das tägliche Leben und Überleben noch so hart ist. Neben Filmen, aktuellen Wochenschauen oder „Slum-TV“ aus Kibera spielen vor allem die Musik mit Rap und Hip-Hop, Theater sowie Bildende Kunst mit Malerei und Skulptur eine wesentliche Rolle. Man möchte unbedingt Vorbilder aus den eigenen Reihen entwickeln und vorzeigen. So ist im „Waisenhaus der guten Samariter“ dessen resolute Chefin namens Mercy seit mehr als 22 Jahren aktiv und hat das Haus kürzlich mit privater deutscher Hilfe erweitern können.

Das Ehepaar Tykwer-Steinmann hat bereits vor etwa10 Jahren den Verein „One Fine Day“ gegründet, der in Kibera Künstler aller Art ausbildet. Pro Woche nehmen hieran zur Zeit 1.500 Kinder und Jugendliche teil. Grisebach in Berlin wird am 14/12/2018 im Rahmen einer Benefizveranstaltung für „One Fine Day“ etliche Werke renommierter Künstler versteigern.

Auch wenn dies alles aus deutscher Sicht nur wie ein Tropfen auf dem heißen Stein einer weiterhin problematischen Migration nach Europa aussehen sollte: Afrika rückt mehr und mehr in unser Blickfeld und ist nicht nur ein geschundener sondern auch ein stolzer und entwicklungsfähiger Kontinent.

 

November 2018

Das Schwarze Quadrat

In diesem Jahr wäre der berühmte russische Maler Kasimir Malewitsch 140 Jahre alt geworden. Im Jahr 1915 wurde sein Bild /Schwarzes Quadrat auf weißem Grund/ erstmals auf einer Ausstellung der Avantgarde in St. Petersburg (damals für einige Jahre Petrograd genannt, später Leningrad) gezeigt. K.M. selbst bezeichnete es als Viereck, da es eigentlich gar nicht exakt quadratisch ist. Die schwarze Fläche zeigt zahllose, durchaus beabsichtigte Risse, die das Weiß und andere Farben des Untergrundes durchscheinen lassen.

Das Bild verursacht auf der einen Seite zunächst allgemeine Sprachlosigkeit, andererseits regt es immer wieder zu neuen Deutungsversuchen an. Es wurde im Lauf der Jahre zu einer Ikone der modernen Malerei, weil es bei einem Höchstmaß an scheinbarer Einfachheit - dargestellt durch die Nichtfarben Schwarz und Weiß - auch nach über 100 Jahren noch große Aufmerksamkeit genießt.

K.M. selbst beschrieb sein Bild mit /Empfindung von Gegenstandlosigkeit/. Für dieses Genre wurde dann der Begriff des Suprematismus erfunden, der eine nicht gegenständliche Malerei kennzeichnet. Sie gilt jedoch nicht als abstrakt im engeren Sinn, da sie auf keinen real vorhandenen Gegenstand zurückgreift.

Natürlich lag dem Experiment, einfach ein viereckiges Bild zu zeigen, auch ein erheblicher Teil provokativer Fragestellungen zu Grunde, was bis auf den heutigen Tag unzählige Kommentare und Einlassungen zur Folge hatte.

Die Entstehung des Bildes ist nicht zuletzt im Kontext der politischen Umwälzungen in Europa zu sehen, die auf Revolution und Krieg hinausliefen. Diese hatten jedoch bald - zunächst in Russland - eine Ächtung derartiger Experimente zur Folge, und auch K.M. kehrte zu weitgehend gegenständlicher Malerei zurück..

Noch heute versetzt uns das Schwarze Quadrat in nachdenkliches Staunen. Es ist und bleibt ein Eckpunkt in der europäischen (Kunst-)Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und eine Aufforderung zugleich, sich auch auf ungewöhnliche Experimente einzulassen.

Das Bild hängt heute in der Staatlichen Tretjakow-Galerie in Moskau, und weitere ähnliche Bilder des Künstlers befinden sich in St. Petersburg.

 

Oktober 2018

Die Kunst der Raben

Bert Brecht hat einmal ein Kinderlied über einen Raben und einen Kanarienvogel verfasst. Es geht so:

Es war einmal ein Rabe/ ein schlauer alter Knabe/ dem sagte ein Kanari, der/ im Käfig sang: Schau her/ von Kunst hast Du keinen Dunst/ Der Rabe sagte ärgerlich/ Wenn Du nicht singen könntest/ wärst Du so frei wie ich.

Wenn man nun davon ausgeht, dass Freiheit eine Grundvoraussetzung für wahre Kunst ist, so ist dies beim Kanari, der im Käfig sitzt, doch nur sehr bedingt gegeben.

Inwieweit nun andererseits der Rabe als Künstler gelten kann, lässt sich nicht so einfach sagen. Immerhin ist die Intelligenz von Rabenvögeln verbürgt. Zum Beispiel verwenden die Alalas auf Hawaii oder die Geradschnabelkrähen aus Neukaledonien Werkzeuge bei der Futterbeschaffung, sind also lernfähig und experimentieren gern. Einzelne Exemplare sollen schon ein Alter von 100 Jahren und mehr erreicht haben. Leider klingt ihr Gesang - auch wenn sie den Singvögeln zugeordnet werden - noch recht gewöhnungsbedürftig.

Aber vielleicht entwickeln sie ihre Gesangskunst ja noch, wenn sie sich einmal die Stimme von Rod Stewart oder Joe Cocker anhören. Es muss ja nicht gleich der Kanari als Vorbild dienen.

 

September 2018

Jacob Burckhardt

Bereits am 25. Mai d.J. wäre J.B. 200 Jahre alt geworden. Auch wenn er im allgemeinen Bewusstsein wohl etwas in den Hintergrund gerückt ist, lohnt es doch - oder gerade deswegen -, ihm einige Gedanken zu widmen:

Geboren 1818 in Basel als viertes von sieben Kindern. Sein Vater war Pfarrer in der reformierten Kirche in Basel. Humanistische Bildung in Elternhaus und Schule. Studium der evangelischen Theologie, dann der Geschichte, Kunstgeschichte und Philologie in Berlin. Weitere ausgedehnte Aufenthalte in Paris, Italien und Berlin. Ab 1858 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte und Kunstgeschichte in Basel. Kontakte mit dem jüngeren Friedrich Nietzsche. J.B. starb mit 79 Jahren als kinderlos gebliebener Junggeselle in seiner Heimatstadt Basel, deren Einwohnerzahl sich während seiner Zeit von 16.000 auf über 100.000 erhöht hatte. Der 1000 Franken-Schein trägt seit 1995 sein Konterfei.

Besonders prägend waren J.B.s Aufenthalte in Italien. Sie bewirkten eine Neuorientierung an den klassischen Idealen Winckelmanns, Goethes und Wilhelm von Humboldts. Mit mehreren Werken wurde J.B. zum herausragenden Kulturhistoriker und Vater der modernen Kunstgeschichte. Sein wohl bedeutendstes Werk war: Die Cultur der Renaissance in Italien. Noch heute gilt es als Standardwerk über diese Epoche, welches wesentlich dazu beitrug, dass die Renaissance als Meilenstein in der Menschheitsgeschichte wahrgenommen wurde, nämlich als Einleitung der Moderne in Europa.

Gustav Seibt schreibt in seinem Artikel (SZ, 25. Mai 2018): Erst der tyrannische oder republikanische Kleinstaat in Italien brachte seit 1250 jenen Menschentypus hervor, der mit seiner Kreativität und Grausamkeit die Explosion des Neuen bewirkte. Mit einem solchen Bild der Willkür, das in manchem an heutige Zustände von Schwellenländern erinnert, wurde die Renaissance zur „nächsten Mutter unserer Civilisation“, und in der Geschichte von Florenz finde man die höchste politische Bewusstheit und den größten Reichtum an Entwicklungsformen.

Leonardo da Vinci und seine Zeitgenossen sind die überlieferten Stars dieser Epoche.

 

August 2018

Bildwechsel

In unserer Zeit flüchtiger Eindrücke und schneller Bildwechsel kann eine Pause hilfreich sein. Die Besinnung auf das Wesentliche kann dann zu mehr Klarheit und neuen Erkenntnissen führen.

Gibt es doch nach wie vor Erstaunliches zu entdecken. Allerdings muss der Blick dafür immer wieder geschärft werden.

Beispielsweise ließe sich bei der folgenden, scheinbar sehr einfachen Zeichnung die Frage stellen:

Wie viele Quadrate sind dort enthalten?

(Es sind mehr als 16 und weniger als 31. Aber wie viele sind es genau?)

       
       
       
       

PS.: Wer noch Lust hat und die Suche weiterführen möchte, kann auch die Zahl der enthaltenen Rechtecke ermitteln. Sie ist noch deutlich höher als die der Quadrate.

 

Juli 2018

Baku

Aserbaidschan ist eine ehemalige Sowjetrepublik mit etwa 9,6 Mio. Einwohnern und reichen Ölvorkommen. Einerseits geprägt vom Islam ist sie andererseits aber auch deutlich säkular orientiert.

Diese Gemengelage trug dazu bei, in einem christlichen Gemeindezentrum der Hauptstadt Baku - bereits Ende 2017 - ein neues Goethezentrum unter der Leitung von Alfons Hug zu errichten. A.H. leitete derartige Goetheinstitute bereits unter anderem in Lagos, Brasilia, Rio und Moskau und organisierte in den Jahren 2002 und 2004 die Kunstbiennalen in Sao Paulo.

In Baku erschien es nun wegen der anhaltenden politischen Spannungen mit dem Nachbarn Armenien angezeigt, besonders behutsam vorzugehen und mit den Mitteln der Kunst Gemeinsamkeiten zu entdecken. Die Eröffnung eines Goetheinstituts in Armeniens Hauptstadt Eriwan - ebenfalls bereits Ende 2017 erfolgt - unterstreicht diesen Gedanken.

Beide Institute sind für die nächsten 3 Jahre mit einem Etat von insgesamt 3 Mio Euro gut ausgestattet.

Youssef Limoud, ägyptischer Künstler, Studium bei Michael Buthe in Düsseldorf, zeigt in Baku mit der Installation einer aufbereiteten Schrottsammlung das Entstehen und den quasi zwangsläufigen Verfall menschlicher Lebensweisen.

Der deutsche Künstler Mischa Kuball zeigt seine neue Lichtinstallation „Five suns after Galilei“ als Würdigung astronomischer Wissenschaften, die ja durch islamische Persönlichkeiten entscheidend mitgeprägt wurden.

Kein Geringerer als Goethe war - sozusagen posthum - bei der Eröffnung des neuen Kulturzentrums an der alten Seidenstraße mit Zitaten aus seinem West-östlichen Divan präsent: … Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.

 

Juni 2018

Alexander Gerst

A.G. wird am 6. Juni 2018 vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan erneut zu einer Expedition zur Internationalen Raumstation ISS aufbrechen. Diesmal als erfahrener Kommandant der 6-köpfigen, international besetzten Mannschaft.

Welchen besseren Anlass gäbe es daher, sozusagen über den Tellerrand hinaus, von weit oben herab auf die Erde zu schauen?

A.G. beschreibt in seinem Vortrag (Uni Stuttgart, 18/05/2015,YouTube) erfrischend optimistisch aber dennoch höchst eindringlich seine Eindrücke und Erfahrungen von seiner ersten Expedition im Jahr 2014, die unter dem Namen „Blue Dot“ ablief.

Eines seiner eindrucksvollsten Bilder ist dabei die Erde als winzig kleiner, blauer Punkt (Blue Dot) im total dunklen Weltall, fotografiert von einer Raumsonde aus, die gerade am Saturn vorbeifliegt. Man erkennt hier, dass die Erde gemessen an den Maßstäben des Weltraums äußerst klein aber - einem Aquamarin ähnlich - von einzigartiger blauer Farbe ist. Andere Bilder - aus der ISS aufgenommen - zeigen anschaulich, wie dünn und verletzlich die Lufthülle der Erde doch ist, und man mag nicht glauben, dass Schutzmaßnahmen immer noch nur sehr zögerlich ergriffen werden, denn einen „Plan B“ wird es nach den Worten von A.G. nicht geben.

In seinem Vortrag wird weiterhin deutlich, dass härtestes körperliches und mentales Training, eiserne Disziplin und die Fähigkeit zur Kooperation Voraussetzungen sind, um die gestellten Aufgaben zu lösen. Dabei strahlt A.G. einen offenbar naturgegebenen Optimismus und eine umwerfende Unkompliziertheit aus, die für den wissenschaftlichen Erfolg aber auch für die mediale Beachtung des Abenteuers Raumfahrt wohl nötig sind. In der Schwerelosigkeit sollen weiterhin Experimente und Beobachtungen dazu dienen, Materialentwicklungen (Legierungen, Kristalle u.a.) voran zu treiben und neue Verfahren bei der Bekämpfung von Krankheiten (Osteoporose u.a.) zu entwickeln.

Damit wird A.G. mehr und mehr zum Vorbild für alle, denen Suchen und Staunen auch unter extremen Bedingungen nicht fremd sind, egal ob sie ihre Arbeit auf See, auf der Erde oder eben im Weltraum verrichten.

PS.: Alan Bean, einer der amerikanischen Mondfahrer, verstarb kürzlich im Alter von 86 Jahren. Er war seit 1981 im Ruhestand und betätigte sich seitdem als Künstler. Seine Bilder und Fotos aus der Raumfahrt zeigte er in seinem Studio in Houston, Texas.

 

Mai 2018

Bild und Rahmen

Der Rahmen soll dem Bild, das er einrahmt, eine klare Begrenzung geben: Bis hierhin und nicht weiter! Darüber hinaus soll er - mehr oder weniger - mit dem Bild harmonieren oder es sogar innerhalb der umgebenden Räumlichkeit besonders zur Geltung bringen.

Bei manchen Bildern ist der Rahmen sogar das eigentliche Kunstwerk, ja es gibt Bilder, die gänzlich einfarbig - zum Beispiel ganz in Schwarz oder ganz in Weiß - gehalten sind und so zu sagen gar nichts zeigen außer eben dieser einen Farbe und dem Rahmen.

Dies kann dann zu besonders ausgiebiger Meditation einladen. Vielleicht sollte man sich dem auch gar nicht verschließen. Ob man dann allerdings noch den Rahmen braucht, sei dahin gestellt. Die Gedanken bewegen sich dann ja eher schwerelos, unbeschränkt und frei. Ungefähr so wie in Jonas Jonassons Buch, in dem ein Hundertjähriger aus dem Fenster - also durch den Rahmen hindurch - steigt und verschwindet.

Ob so etwas auch jüngeren Menschen gelingen kann? Es käme auf einen Versuch an. Vielleicht wäre ein einfarbiges, rahmenloses Bild hierbei zu bevorzugen.

 

April 2018

Da staunt der Laie ...

Naturfilmer verfügen heute über unglaubliche technische Möglichkeiten: Hochgeschwindigkeitskameras, Infrarot- und Sensortechnik, Glasfaserverkabelung und neue Entwicklungen der Mikroelektronik vermitteln erstaunliche Einblicke in bislang unbekannte Welten. Albatrosse in Südgeorgien, Schwärme bunter Fische im Great Barrier Reef, exotische Insekten auf Borneo und Sumatra, Wüstenelefanten in Namibia. Hinzu kommen extreme physische Anstrengungen der Kamerateams und schlussendlich die Bildauswahl und Vertonung im Studio.

Auch wenn die immer wieder eingebauten Themen wie Gletscherschmelze, Plastikmüll , Überfischung und andere Bedrohungen als die Kehrseite der Medaille Beachtung verdienen, aber bei dauernder Wiederholung ermüdend wirken, so überwiegt die Bewunderung für die Vielfalt der Natur und die Leistung, die hinter der Dokumentation steckt. Dabei drängt sich die Überzeugung auf: Je weiter man vordringt und Neues entdeckt, um so mehr Fragen tun sich auf.

Man sieht sich zurückversetzt in die Spur eines Alexander von Humboldt, der wie kein anderer die Natur beobachtet und skizziert hat, und man stellt fest: Sie existiert tatsächlich, die reale Welt, ganz unabhängig von all dem fiktivem Unfug und der nostalgischen Selbstbemitleidung, die uns tagtäglich begleiten. Wie imposant sind die Bilder von den Wasserfällen des Sambesi, von den Nebelschwaden der chilenischen Pazifikküste und vom Nordlicht Skandinaviens, ganz zu schweigen von den phantastischen Wolkenbildern und unvergleichlichen Sonnenuntergängen in unseren Breiten.

Schon Emil Nolde hat sich von den Naturereignissen, wie sie typisch für die Nordsee sind, inspirieren lassen. Seine Landschaftsbilder belegen dies auf eindrucksvolle Weise. Leider hatte er nicht die Chance, die phantastischen Eindrücke aus den entfernteren Teilen unserer Erde kennenzulernen.

 

März 2018

Marcel Duchamp und das Readymade

Wer an den wechselnden Ausprägungen bildender Künste interessiert ist, kommt an Marcel Duchamp, Pionier des Readymade, nicht vorbei. Geboren 1887 in Blainville-Crevon, Frankreich, ab 1955 US-Bürger, gestorben 1968 in Neuilly-sur-Seine.

International bekannt wurde M.D. in der New Yorker Kunstszene zusammen mit Größen wie Man Ray, Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Andy Warhol, Jean Tinguely, Max Ernst, Alexander Calder, David Hare, der Sammlerin Peggy Guggenheim und anderen.

Sein berühmt-berüchtigtes Toilettenbecken, das er als Kunstwerk in einer Ausstellung für Jedermann präsentieren wollte, sorgte 1917 für einen Eklat und brachte eine neue Bewegung ins Rollen: Das Readymade. Dabei ging es um industriell gefertigte Stücke, die - quasi durch intellektuelle Weiterverarbeitung - in einen neuen Kontext gesetzt werden sollten. Andy Warhol hat diese Idee bekanntlich weiterverfolgt und Coca Cola- und Corned-Beef-Dosen zu Objekten seiner Kunst gemacht.

Kunst sei, was zur Kunst erklärt werde und was auch den Betrachter unbedingt einzubeziehen habe. Diese Meinung des Betrachters sollte also Teil des Kunstwerks sein. Dies war das Credo von M.D.. Einerseits Öffnung zu weitreichender Beliebigkeit, andererseits das Bestreben, sich von der bisherigen Malerei abzuwenden, um eine neue gesellschaftskritische Avantgarde aufzubauen. Der Zufall als Programm, Nonsense-Maschinen als Zeichen künstlerischer Freiheit, absurdes Theater bis hin zur Orientierungslosigkeit. Dennoch waren die Vertreter des Readymade durchaus Könner auf ihrem Gebiet mit einer soliden handwerklichen Basis. Aber sie strebten schnelle Aufmerksamkeit an, und Skandal und Tumult waren schon damals brauchbare Mittel zum Zweck. Dies führte zu Ergebnissen, die als unausgereifter und dennoch zumindest in Teilen genialer Murks bezeichnet werden können. Als Experiment also anerkennenswert.

Und so gab es im Kunstbetrieb nicht gerade selten Versuche, auf diese Weise neue Ansätze von Spiritualität zu erzielen, wie es auch der amerikanische Komponist John Cage im Jahr 1952 in der Maverick Concert Hall in Woodstock bei New York mit vier Minuten und 33 Sekunden Schweigen vorgeführt hat.

Im Finale des Filmklassikers: Alexis Sorbas, mit Anthony Quinn in der Hauptrolle, erlebt solch genialer Murks einen Höhepunkt, indem die von Sorbas erbaute Seilbahn, die aus einem alten Bergwerk talwärts führt, bei der Probefahrt so sehr an Fahrt gewinnt, dass die gesamte Konstruktion auf herrliche Weise zusammenbricht. Die Zuschauer und Beteiligten brechen nach anfänglichem Schrecken in schallendes Gelächter aus.

Ist denn all das auch Kunst? Und wenn ja, wieso denn das? Wichtige Elemente sind gegeben: Neu, überraschend und in Teilen auch gut gemacht. Provokation bleibt also ein bewährtes Medium, die Aufmerksamkeit von Medien und Publikum zu gewinnen.

 

Februar 2018

Die Idee lebt

Wenn man auf die Landkarte Europas schaut, erkennt man schnell, dass zwischen Gibraltar, Bosporus, Nordkap und Ural eine Vielzahl von Ländern mit einer unglaublichen Zahl von Ethnien liegt. Mit Gründung der EU im Jahr 1993 wurde versucht, diese Vielfalt zu verbinden und zusammenzuführen, nicht zuletzt auch über die gemeinsame Währung des Euro im Jahr 2002 nach dem Motto: Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts.

Dabei war allein die Gestaltung der Euro-Banknoten eine Sisyphosaufgabe. Historische Entwicklungen von Technik, Kunst und Kommunikation sollten auf den neuen Banknoten harmonisch vereint werden. Den Wettbewerb gewann damals der österreichische Designer Robert Kalina, der fiktive Beispiele europäischer Architektur als Thema wählte. Er ging damit als einziger diesen Weg. Seine Mitbewerber hatten sich mehrheitlich - und wie bis dato bei Banknoten üblich - menschlichen Porträts zugewandt.

Bis heute zeigen die sieben verschiedenen Banknoten von 5 bis 500 Euro die Motive: Klassik, Romanik, Gotik, Renaissance, Barock, Eisen und Glas sowie moderne Architektur des 20. Jahrhunderts.

Der 500 Euro-Schein soll nun schrittweise abgeschafft werden und damit wohl leider auch sein Motiv moderner Architektur. Zur Zeit wird vielerorts überlegt, wie man die Moderne retten könnte. Natürlich geht es dabei nicht nur um die betreffende Banknote, sondern viel mehr um den Geist, der ein gemeinsames Europa voran bringen soll. Die bereits in mehreren EU-Ländern angestrebte Abschaffung der Gewaltenteilung mit einhergehendem Kontrollverlust und Einladung zur Vetternwirtschaft kann hier sicherlich nicht der richtige Weg sein.

Wie wäre es denn mit dem Grundsatz: Vielfalt ist wertvoll und sollte nicht vergeudet werden. Gibt es nicht immer etwas zu entdecken, was der (oder die) andere besser kann als ich, und was hätte ich denn zu bieten? Werfen wir also unsere Fähigkeiten in einen Topf und bereiten uns gemeinsam auf die großen Herausforderungen vor, die vor uns liegen. Durch tägliches Von-einander- Lernen und Miteinander- Arbeiten dürfte dies auf sehr praktische Weise möglich sein.

Dieser Gedankengang zu verstärkter Teambildung ist ja nicht neu. Nur müsste die Verwaltung dafür angepasst und so weit wie möglich minimiert  werden. Noch mehr Anonymität wäre fatal. Gemeinsames  Handeln und laufende Anpassung an sich ständig verändernde äußere Gegebenheiten haben Vorrang.

Der bisherige gemeinsame und weltweit einmalige Erfolg des Modells EU ist Ausweis genug für diesen Weg. Das von Robert Kalinka gewählte Motiv auf dem 500 Euro-Schein und dessen voraussichtliches Verschwinden sollte uns nicht entmutigen.
Im Gegenteil:

Die Idee lebt. Es ist Zeit zu handeln.

 

Januar 2018

Traumhäuser

Kürzlich klagte unser Nachbar über seinen achtjährigen Sohn: Es wird Zeit, dass hier diese Sperrmüllhaufen wegkommen. Mein lieber Sohn kommt nach der Schule gar nicht mehr gleich nach Hause. Und wenn er dann kommt, hat er wieder etliche alte Sachen dabei, von denen er behauptet, er brauche sie ganz dringend. Und dann erzählt er dauernd von einem Baumhaus. Dabei haben wir im Garten doch nur ein paar junge Apfelbäume.

Welcher Junge (und welches Mädchen ?) träumt nicht von einem Baumhaus? Hoch oben zwischen knarzendem Geäst und raschelndem Laub, als Nachbar von Buntspecht und Siebenschläfer.

Und eine passende Einrichtung müsste her: Eine Sitzbank, ein Tisch, ein Bord (für diverse mehr oder weniger nützliche Gegenstände), natürlich ein Kofferradio, ein paar Flaschen Cola, eine Dose Wiener Würstchen und ein paar alte Klamotten, die nicht mehr für den Kleiderschrank taugen, eine Kiste oder ein alter Reisekoffer mit Kissen und warmen Decken, ein Malblock für Skizzen und Notizen und natürlich ein Bleistift 4B, ein paar Buntstifte und Marker, ein Anspitzer und ein weiches Radiergummi. Ach ja, noch ein Schild: Handyfreie Zone und vielleicht ein paar Notgroschen.

Für den Fall, dass es länger regnen sollte, wird eine Plane darüber gespannt. Eine Aussichtsplattform oder wenigstens ein Guckfenster sollte nicht fehlen, dazu ein Fernglas, etliche Comics und Abenteuerromane, angefangen bei Tim und Struppi, Lucky Luke und Asterix bis hin zu Onkel Toms Hütte und Huckleberry Finn. Alles andere würde sich dann finden. Vielleicht könnte man sogar ein kleines Eintrittsgeld nehmen. Aber die besten Freunde kämen natürlich umsonst rein.

Tatsächlich, ganz in unserer Nähe gibt es ein solches Baumhaus. Es ist sogar über mehrere Etagen gebaut. Ein wahres Meisterwerk. Man möchte es Traumhaus nennen.

Dezember 2017

Banksy und Nouvel

Der berühmte, (fast) anonyme britische Streetart-Künstler Banksy gründete Anfang 2017 das Walled Off Hotel in Bethlehem, direkt an der Mauer, die Israel von den Palästinensergebieten trennt und stattete es mit zahlreichen seiner typischen, sozialkritischen Graffitis aus, mit denen er bereits vor Jahren bekannt wurde.

Ein anderer Bau erreicht zur Zeit weit größere Publizität: Unter der Leitung des französischen Stararchitekten Jean Nouvel wurde in 10-jähriger Bauzeit auf einer künstlich aufgeschütteten Insel namens Saadyat Island ein faszinierender Kuppelbau errichtet und kürzlich eröffnet: Der Louvre Abu Dhabi.

Die Dachkonstruktion der Kuppel besteht aus einem über unglaubliche 180 m Durchmesser freitragenden Stahltragwerk, darunter und daneben 55 würfelförmige Ausstellungsräume. Gesamtkosten etwa 1,5 Mrd. Euro, davon etwa 50% für Lizenzen an den Louvre/Paris. Im Louvre/Abu Dhabi soll nun die Geschichte der menschlichen Zivilisation über alle Grenzen und Nationen hinweg erzählt werden. Zweifellos ein gewaltiges Projekt in einem Land, das mittlerweile bereits für die Zeit nach dem Ölboom plant. Dass die Bauarbeiter aus Indien, Pakistan und Bangladesch dort allerdings wie Leibeigene zu arbeiten hatten, wurde zwar von der Organisation Human Rights Watch kritisiert, jedoch von der Öffentlichkeit nur am Rande wahrgenommen.

Ein Vergleich dieser beiden Bauwerke mutet an wie der Vergleich eines Bugatti mit einem Trabi. Der Vergleich erscheint abenteuerlich aber lenkt dennoch den Blick auf Wesentliches: Hier prestigeträchtigste Baukunst, bestückt mit den teuersten und eindrucksvollsten Kunstwerken, dort ein einfaches Hotel, das mit Wandmalerei auf die politischen und sozialen Missstände an einer hochproblematischen Grenze aufmerksam macht.

Statt die Gretchenfrage zu stellen, was nun wohl besser sei, sei hier Dirk Meissner zitiert, der seinen Protagonisten in einem aktuellen Cartoon sagen lässt: „Hören Sie, ich bin gar nicht ich. Ich habe mich nur geleast, und die Markenrechte an meiner Person liegen in Holland“.

Soll heißen: Mit der richtigen Mainstream-Strategie zu Reichtum, Luxus und Prestige zu kommen, ist möglich. Aber ist es auch sinnvoll?

 

November 2017

Dauerregen

Kennst Du den Unterschied zwischen Hamburger Winter- und Sommerwetter? Weißt Du nicht? Im Sommer regnet es genau wie im Winter, nur etwas wärmer.

Wetter und Klima haben Einfluss auf die Psyche des Menschen. Längerer Nieselregen - auch Schietwetter genannt - entspricht der norddeutschen Sprechweise und Mentalität: Nuschelig, brummelig, aber nicht unterzukriegen.Typische Dauerläufer, diese Nordlichter.

Das Prinzip dauerhafter Berieselung kennen wir ja auch aus der Werbung. Manchmal sucht sie uns heim wie eine schleichende Grippe. Klar, es gibt akzeptable Werbung. Wenn zum Beispiel ein sonst 2-sitziges Auto plötzlich 4-sitzig herumfährt und der Fahrer sich beim Umdrehen mächtig erschrickt, weil plötzlich auch hinten zwei Leute sitzen. Oder wenn drei Frösche, nebeneinander auf einem Brett sitzend, nacheinander die drei Silben einer Biermarke quaken, die man dann mit etwas Mühe erraten kann.

Allerdings ist das meiste, was so im Mainstream hereinflutet, freudlos, platt und wenig überzeugend. Aber auch das zeigt Wirkung, vor allem bei ständiger Wiederholung und Dauerberieselung. Denn schon wenn Du beginnst, Dich dagegen zu wehren, ist Forderung Nummer 1 jeder Werbung - nämlich Beachtung - erfüllt. Man beschäftigt sich mit ihr. Zwar widerwillig, aber es bleibt etwas hängen. Schon die alten Lateiner kannten das. Sie sagten dann: Semper aliquid haeret - irgendetwas bleibt immer hängen. So wie die Laus im Pelz.

Wie tröstet sich nun der geplagte Verbraucher? Er sagt sich: Es muss deswegen so viel Mist geben, damit Gutes überhaupt erkennbar wird. Schließlich sind es gerade die Kontraste, die zu mehr Klarheit führen.

Wäre ja auch total langweilig, wenn sich niemand mehr aufregen würde.

 

Oktober 2017

Der Preis eines Kunstwerks

Eine alte Kaufmannsregel besagt: Angebot und Nachfrage regeln den Preis. An diesem einfachen Grundprinzip ist nichts zu deuteln. Bei näherer Betrachtung ist der Preis das Ergebnis zeitlich begrenzter Einflüsse: Nachfrage wird in der Regel durch Werbung erzeugt. Dabei können sich ähnelnde Produkte bei gleichem Preis von unterschiedlicher Qualität sein. Angebot und Nachfrage bleiben daher stets in Bewegung und Preisanpassungen sind die Folge. Das gilt für Kunstwerke ebenso wie für eine Kiste Bananen. Für Kunstwerke werden aber Aufschläge gezahlt, deren Höhe sich aus einer eher unsicheren Nachfrage ergibt.

Vor einigen hundert Jahren war der zu zahlende Preis für ein Kunstwerk offenbar einfacher zu bestimmen als heute: Piroschka Dossi schreibt in ihrem Buch „ Hype! Kunst und Geld“, dass dieser hauptsächlich danach bemessen wurde, wie teuer das verwendete Material war. Die Arbeitszeit des Künstlers oder andere Faktoren spielten dabei offenbar eine geringere Rolle.

Heute liegen die Dinge anders: Für ein Bild von Gerhard Richter mit etwa zehn Quadratmetern wurden im Jahr 2015 beispielsweise 41 Millionen Euro gezahlt. Dessen reiner Materialwert dürfte kaum über 500 Euro liegen. Rechnet man einen guten Arbeitslohn und einige Fixkosten hinzu, würde die Summe wohl höchstens 5.000 Euro betragen.

Hier stellen sich natürlich Fragen, wie zum Beispiel: Wie erklärt sich dieser gewaltige Aufpreis? Sind es Leidenschaft, Prestige, Eitelkeit, Zeitgeist, Einzigartigkeit, Geldanlage, Spekulation? Oder die Frage: Wie und an wen verteilt sich die verbleibende Spanne von 40.995.000 Euro? Erinnert dieser Markt doch sehr an ein Spielcasino, allerdings mit verbesserten Gewinnaussichten.

Man kann lange über das Phänomen von Kunstpreisen nachsinnen, ohne zu einem klaren Ergebnis zu kommen. Gerhard Richter selbst hat sinngemäß verlauten lassen, dass er dies alles auch nicht recht nachvollziehen kann. Richtig ist aber auch, dass der im obigen Buch beschriebene Hype das Ergebnis medialer und gesellschaftlicher Überhitzung ist. Wie schön für die Galeristen und Auktionshäuser und für den Künstler, der zu Lebzeiten von den enormen Geldbeträgen etwas abbekommt.

Derartige Preissprünge sind ja auch die Ausnahme, und der mittlere Verkaufspreis aller angebotenen Gemälde dürfte noch unter den oben geschätzten Basisdaten 5.000/10 = 500 EUR per Quadratmeter (oder Stück) liegen. Welch eine Tragödie für den unbekannten Maler, der frei nach Goethe „arm am Beutel, krank am Herzen“ immer noch einen Zweitjob braucht oder reich heiraten muss, solange es ihm nicht gelingt, ein hohes Maß medialer Aufmerksamkeit zu erreichen.

Man sieht einmal mehr: Geld ist genug vorhanden. Leider allzu häufig nicht an der richtigen Stelle.

 

September 2017

Jerry Lewis

Im Alter von 91 Jahren ist Jerry Lewis gestorben. Im Grimassenschneiden, mit Sketchen und Slapsticks unerreicht und in einer Reihe mit Charly Chaplin, Buster Keaton, Laurel und Hardy, Jacques Tati, Fernadel, Louis de Funès und anderen Mimen – jedoch jeder auch nach seiner besonderen Art.

Was war besonders bei Jerry Lewis? Die Anzahl seiner Filme (mehr als 70), seine Themen, die Art seiner Darstellung? Neben seiner gewaltigen Mimik sicherlich seine gesamte Körperkunst, insbesondere seine zunächst unbeholfenen bis zunehmend ekstatischen Tanzeinlagen zum Beispiel in: Living it up von 1954 oder sein Schreibmaschinensketch in: Der Ladenhüter (1963) bzw. in der deutschen Klimbim-Show (1974). Seine letzte Filmrolle datiert aus 2016 in: The Trust.

Alles Schnee von gestern? Ja und nein. Was bleibt, ist dass Lewis bis an die Grenzen des Möglichen ging und häufig auch darüber hinaus. Der Ökonom Joseph Schumpeter bezeichnete derartige Vorgänge bekanntlich als schöpferische Zerstörung. Anarchie als Basis für Innovation? Ob das auch mit Kunst zu tun hat? Jerry Lewis hat diese Frage auf seine Weise beantwortet.

 

August 2017

Die Falte

Was ist oder wozu dient eine Falte? Wenn man sich umschaut, entdeckt man eine Vielzahl von Falten:

Auf der Stirn, an der Hose, am Regenschirm, an einer Ziehharmonika oder auch im Gebirge, was von Geologen bekanntlich als Faltengebirge bezeichnet wird.

Ob ein Zitronenfalter wirklich Zitronen falten kann, ist zwar bisher nicht belegt, aber immerhin wurde in Japan das Falten von Papier - Origami genannt – zu einer landestypischen Kunstform entwickelt.

Um die Antwort abzukürzen, kann man feststellen:

Eine Falte ist der immer wieder beobachtete Versuch einer eigentlich flachen Erscheinung, eine mehr oder weniger imponierende Raumform anzunehmen. Oder aber als seltenere Umkehrung:

Die Bemühung, ein Großformat so klein wie möglich zu machen.

Letzteres wird auch notiert unter: Etwas oder jemanden zusammenfalten.

So hat die Falte letztlich doch eine höhere Bedeutung als gemeinhin angenommen.


Juli 2017

Auf Reisen

Andrea Wulf beschreibt in ihrem neuen Buch:

Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“

die Reisen und Berichte des bekannten Naturforschers und Gelehrten im Zusammenhang mit den Strömungen der damaligen Zeit. Bedeutende Zeitgenossen wie Johann Wolfgang von Goethe, Charles Darwin, Carl Friedrich Gauß oder Simon Bolivar fanden in Alexander von Humboldt nicht nur einen interessanten Gesprächspartner, sondern das große Vorbild im Entdecken naturwissenschaftlicher Zusammenhänge und deren Bedeutung für die weitere Entwicklung von Wissenschaft, Kultur und Politik.

Das ganze Zeitalter der Romantik erscheint hier in neuem Licht, also nicht allein als leidenschaftlich-sentimentale Gefühlswelt, sondern als unmittelbarer Eintritt des menschlichen Forscherdrangs in die Natur, verbunden mit der direkten Umsetzung der dort gewonnenen Erkenntnisse, die unter anderem in die Evolutionstheorie des Charles Darwin mündeten. Unser heutiges Denken und Handeln in ökologischen Zusammenhängen hatte in Alexander von Humboldt einen bedeutenden Wegbereiter. Wenn man der Schriftstellerin Andrea Wulf folgt, lässt sich sogar eine Ähnlichkeit zwischen Humboldt und Goethes Figur des Doktor Faust feststellen, was durch die zahlreichen, von gegenseitiger Anerkennung zeugenden Gespräche zwischen Goethe und Humboldt auch naheliegt. War Goethe ja nicht nur Schriftsteller und Dichter, sondern eben auch begeisterter Naturforscher. Die Goethesche Farbenlehre dürfte hierfür das bekannteste Beispiel sein. Humboldts detaillierte Beschreibungen natürlicher Phänomene gehen über das Ansammeln reiner Fakten weit hinaus und sind gepaart mit wissenschaftlichen Bewertungen, philosophischen Betrachtungen und poetischen Beschreibungen. Seine zahlreichen Zeichnungen und neuartigen Darstellungen sind nicht zuletzt auch von hohem künstlerischem Wert.

Nicht nur in Europa sondern vor allem auch in Süd- und Mittelamerika steht Humboldt in höchstem Ansehen, da er nicht wie andere Europäer Unterwerfung oder Versklavung der eingeborenen Bevölkerung im Sinn hatte, sondern sie als Partner ansah, von denen er lernen und weitere Erkenntnisse gewinnen wollte. Hiervon zeugen die vielfältigen, vor allem geografischen Bezeichnungen, die ihm zu Ehren noch heute seinen Namen tragen.

Zweifellos waren seine ausgedehnten, extrem fordernden Reisen der Schlüssel zu den Entdeckungen, die er in zahlreichen Veröffentlichungen niederschrieb und die Andrea Wulf nun mit ihrem Buch neu bewertet und eingeordnet hat.

Das Buch zeigt uns aber auch noch zwei Jahrhunderte später, dass ein aufmerksamer Blick in die Natur Zusammenhänge und Resultate offenlegt, die man für nahezu unmöglich hält und die - wenn es denn so etwas geben sollte - an Wunder grenzen. So sind die Orientierungsleistungen von Vögeln und Fischen oder die Metamorphose bei der Entwicklung von Schmetterlingen ganz unglaubliche Phänomene, die uns in Erstaunen versetzen und gegen die unsere eigenen Künste nicht mehr ganz so bedeutend erscheinen.

 

Juni 2017

Neue Filme über bildende Künstler

Der Regisseur und Autor Andres Veiel hat seinen neuen Dokumentarfilm „Beuys“ bei den Fimfestspielen im Februar d. J. in Berlin vorgestellt und damit einen Trend fortgesetzt, der das Leben und Wirken bekannter Künstler darstellt.

Auch Filme über Jackson Pollock (Regie: Ed Harris, 2000), Gerhard Richter (Regie: Corinna Belz, 2009) so wie über Paul Cézanne, Paula Modersohn-Becker, Neo Rauch und Egon Schiele wurden kürzlich produziert.

Der Film „Beuys“ fand in Berlin eine besonders gute Kritik. Die traumatischen Kriegserlebnisse, eine schwere Lebenskrise in den Nachkriegsjahren und der Rauswurf als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie wurden aufgegriffen. Genie und Scharlatan lagen bei Beuys eng beieinander und die öffentliche - auch internationale - Aufmerksamkeit für ihn war immens.

Rainer Gansera stellt in der SZ vom 19/05/2017 die Frage: Warum ist der bildende Künstler zur Zeit so attraktiv? Weil er ein Rollenmodell für Nonkonformismus darstellt? Weil er Exempel der Selbstentfaltung und Selbstdarstellung liefert?

Wie auch immer. Recht hat Rainer Gansera mit der Feststellung, dass Beuys mit beachtlichem Erfolg gegen die für ihn untragbaren Zumutungen des akademischen und musealen Kunstbetriebs gekämpft hat und die Mauern zwischen dem normalen Leben und Kunst einreißen wollte. Eine Utopie, die in dem neuen Film veranschaulicht wird und neue Denkanstöße liefert.

 

Mai 2017

Damien Hirst in Venedig

Nach etlichen Jahren ohne größere Veranstaltungen stellt Damien Hirst nun bis zum 3. Dez. 2017 im Palazzo Grassi und in der Punta della Dogana in Venedig aus. Die zu Grunde liegende Geschichte basiert auf einer Legende von einem Schatzschiff namens Apistos (offenbar hergeleitet von apisteftos = unglaublich), das um 200 n. Chr. bei Sansibar untergegangen sein soll. Das Thema lautet: /Treasures from the Wreck of the Unbelievable/.

Etwa 200 Teile sind zu bestaunen, das schwerste wiegt mehr als 4 Tonnen. Vieles entstand - gleich in 3-facher Ausführung - in einer Gießerei in Gloucestershire nahe Bristol. Die Meinungen gehen wieder einmal auseinander, und es fallen Kommentare wie: /Jenseits von gut und schlecht/ oder: /Hollywood-Manier/ oder: /Kitsch im Großformat/. Immerhin sollen die Stücke zwischen 500.000 und 5 Mio. Dollar kosten.

Werden sie als Kunstwerke überdauern? Der Blick zurück zu alten Erzählungen von Seefahrern, Schatzsuchern und anderen Abenteurern - gepaart mit einer gehörigen Portion Phantasie und geschichtlicher Unschärfe - trifft zweifellos eine Mode, die sich auch in der Literatur gut verkauft. Francois Pinault, Eigentümer der beiden venezianischen Museen und vom Auktionshaus Christie´s, hat einige Millionen Dollar in die Präsentationen gesteckt und auch Damien Hirst hat keineswegs gekleckert.

Der Diskurs hat also begonnen. Was am Ende dabei herauskommt, ist - wie sollte es anders sein - ungewiss. Einige nicht unwichtige Kunst- und Kunstmarketing-Kriterien wie: Interessante Story, neue Dimension, kritischer Ansatz, finanzieller Unterbau wurden aber immerhin schon einmal erfüllt. Kein schlechter Start also für einen ordentlichen Return of Investment. Dennoch, eine deutliche Unsicherheit bleibt und wird sich wohl noch eine Weile hin und her schaukeln.

Jedenfalls liefert Damien Hirst mit seinem neuen Werk Schlagzeilen und frischen Zündstoff für die Auseinandersetzung mit Kunst und Kunstbetrieb, auch wenn seine Arbeiten zweifellos mehr und mehr in Richtung Spekulation driften. Warum auch nicht? Genügend Geld auf der Käuferseite ist ja vorhanden. Die Kunst besteht auch darin, es abzuholen.

 

April 2017

Architekturbüro RCR erhält den Pritzker-Preis 2017

Der Pritzker-Preis für Architektur geht auf das Jahr 1979 zurück. Jay A. und Cindy Pritzker, Eigentümer der Hyatt-Hotelkette, stifteten damals den Preis der jährlich mit 100.000 US-Dollar dotiert und in Fachkreisen als „Oscar der Architektur“ bekannt und sehr begehrt ist.

Interessant ist in diesem Jahr, dass nicht eine ohnehin schon bekannte Persönlichkeit aus dem Architekturbetrieb bedacht wurde, sondern ein bis dato international unbekanntes Büro, nämlich RCR aus Olot bei Barcelona. Dabei steht RCR für Rafael (Aranda), Carme (Pigem) und Ramon (Vilalta), also für zwei Männer und eine Frau. Bemerkenswert ist nicht nur, dass hier ein Gemeinschaftsbüro ausgezeichnet wurde, sondern dass diesmal endlich auch eine Frau dabei ist, die zweite nach Zaha Hadid (2004). Darüberhinaus wollte man offenbar einer zunehmend erhobenen Kritik begegnen, immer wieder nur die Stars der Szene auszuzeichnen und somit einem „social turn“ Rechnung tragen. Die Begründung für Wahl lautete: RCR habe sich besonders um die Einbeziehung ihrer Architektur in den Naturraum verdient gemacht ohne größeren Wert auf solitärhafte Signifikanz zu legen.

Dies ist sicherlich ein lobenswerter Ansatz, der ja auch einen Teil des Zeitgeistes widerspiegelt. Ob den enormen Veränderungen, denen wir unterworfen sind, damit Rechnung getragen wird, bleibt dennoch fraglich. Experimente und weitere Innovationen werden durch diese Wahl gewiss nicht überflüssig. Die auf RCR gefallene Wahl kann jedoch als willkommene und sinnvolle Ergänzung betrachtet werden.

 

März 2017

Robert Rauschenberg, Ausstellung in der Tate Modern, London

Bilder aus Schmutz und Gold, dies ist etwa das Spektrum des US-Künstlers Robert Rauschenberg. Großvater aus Berlin, Großmutter Cherokee-Indianerin, auch hier ein breites Spektrum. Geboren 1925 in Port Arthur, Texas und gestorben 2008 auf Captiva Island, Florida. Studierte Pharmakologie. Medizintechniker im Zweiten Weltkrieg in der US-Armee. Danach Black Mountain College North Carolina, in Material und Farbenlehre inspiriert vom Bauhauspädagogen Josef Albers, gemeinschaftliches Arbeiten mit Cy Twombly und in der Gruppe EAT (Experiments Art & Technology).

Seine Kunstwerke sind nicht umrahmt, sie ragen weit hinaus in die Realität der Betrachtung und kombinieren Formen und Farben mit Alltagsgegenständen. Tanztheater New York, Mud Muse 1968 in London. Dieses Werk ist in der Tate Modern wieder zu sehen. Es handelt sich um ein großes Becken mit Bentonitschlamm, aus welchem Blasen emporblubbern. Deren Klang wird elektronisch verstärkt. Tolle Idee auch das. Kurzum: Rauschenberg ist nicht zu fassen.

Man sollte bis zum 2. April 2017 die Tate Modern besuchen.


Februar 2017

Über die Kunst des Vergänglichen und die Chance, etwas Neues zu schaffen

Schon Joseph Beuys hat die Meinung vertreten, dass Kunst und Vergänglichkeit ziemlich gut zueinander passen. Er hat dies ja auch an zahlreichen Beispielen gezeigt, nicht zuletzt an der sogenannten Fettecke, die durch eine Reinigungsfirma entsorgt wurde und für die das Land NRW eine Entschädigung von damals 40.000 DM zahlte.

Verglichen damit dürfte es deutlich preisgünstiger sein, einen Abend in einem Sterne-Restaurant zu verbringen. Doch auch hier sind Veränderungen angesagt:

Nicht nur Ferran Adriá hat sein berühmtes Restaurant El Bulli an der Costa Brava geschlossen, sondern nun wird auch der dänisch-makedonische Starkoch René Redzepi sein ebenso berühmtes Restaurant Noma in Kopenhagen nach 13 Jahren Ende Februar 2017 schließen, um etwas Neues auf die Beine zu stellen, und zwar in der autonomen Wohnsiedlung Christiana, ebenfalls in Kopenhagen.

Im Noma hatte Redzepi, nicht wie Adriá auf eine alchemistisch anmutende Molekularküche gesetzt, sondern vor allem regional verfügbare Produkte auf neue Weise verarbeitet und in klassischer Menüform angeboten.

Nun wird er mit seinen 39 Jahren einen neuen Schritt wagen, an einem kleinen See mit einem Grundstück von 7.000 m² und drei Gewächshäusern und zwei Gärtnern. Hier will er eine neue kulinarische Ebene schaffen und - im Gegensatz zu vielen Kollegen aus der Branche - kreativ arbeiten, ohne als allererstes an Business zu denken.

Sein Credo ist die Gemeinschaft. Es sei unsere Aufgabe zu kooperieren, andere teilhaben zu lassen, voneinander zu lernen, neugierig und demütig zu bleiben, herumzukommen, Menschen zu treffen.

Haptik, Geschmack - laut Redzepi mögen die Leute das Authentische, nicht zuletzt als Kontrastprogramm zur digitalen Unwirklichkeit, die zunehmend in unseren Alltag eindringt.

 

Januar 2017

Eröffnung der Elbphilharmonie

Am 11. Januar 2017 wird sie nun eröffnet nach fast 10-jähriger Bauzeit: Die Elbphilharmonie in der neuen Hamburger HafenCity. Ein in vielerlei Beziehung spektakuläres Bauwerk zum Endpreis von fast 800 Mio. Euro, was dem 4 bis 5-fachen der ursprünglichen Planung entspricht.

Doch nicht allein die Kostensteigerung ist spektakulär. Einzigartig ist auch die Lage auf einer Landzunge am Kaiserhöft, welche in den Strom der Norderelbe und damit in den Betrieb des Hamburger Hafens hineinragt. Von den Architekten Herzog und de Meuron aus Basel stammt der Entwurf der „gläsernen Welle“, im unteren Bereich umrahmt von der Backsteinmauer eines alten Kaispeichers, der über viele Jahre der Lagerung von Kakao, Tabak und Tee diente. Allerdings wurde der alte Speicher total entkernt, so dass nur die Außenmauern und die Pfahlgründung erhalten blieben. Letztere musste wegen der nun höheren Lasten erheblich verstärkt werden. Die aufgesetzte Fassade besteht aus etwa 1100 gläsernen Unikaten (Stückpreis etwa 70.000 EUR). Der große Saal für mehr als 2000 Zuhörer verfügt über eine ausgefeilte Akustik mit 10.000 individuell gefrästen Gipsplatten und einer Orgel mit mehr als 4.800 Pfeifen, deren kleinste mit elf Millimetern Länge aus Zinn und deren größte mit 10 Metern Länge aus Holz besteht. Der Windbedarf der Orgel liegt bei bis zu 180 m³ pro Minute, der von einem Kraftwerk im Keller des Gebäudes geliefert wird. Das wesentliche Konzept der Gebäudearchitektur ist neben der herausragenden Außenhülle ihre Zugänglichkeit im Inneren, die sich im großen Konzertsaal wiederfindet: Die maximale Entfernung vom Zuhörer zum Dirigenten beträgt 30 Meter und die 2 Mio. Euro teure Orgel thront nicht in luftiger Höhe, sondern die Besucher gehen unmittelbar an den Orgelpfeifen vorbei. Neben dem großen Konzertsaal gibt es einen kleineren Saal sowie ein Hotel mit 244 Zimmern, dazu 45 Luxuswohnungen und ein Parkhaus.

Mit der Elbphilharmonie hat man insgesamt gesehen also nicht gekleckert sondern gehörig geklotzt - für Hamburger nicht unbedingt typisch. Die Sportbewerbung um die Olympiade 2024 ist zwar gescheitert. Aber Hamburg punktet ja auch bereits seit vielen Jahren mit Kunst, Unterhaltung und Tourismus, unterlegt mit einem unverwechselbaren Flair von Hafen, Seefahrt und Entdeckungen aller Art.

Am 11. Januar ist Stapellauf. Man wird nun also sehen und vor allem hören, ob das Schiff namens Elbphilharmonie halten kann, was seine Gründer geträumt und seine Erbauer ins Werk gesetzt haben.

 

Dezember 2016

Burkina Faso

Weihnachtsbotschaften außerhalb von Kitsch, Konvention und Kommerz sind nicht leicht zu finden. Aber dies könnte eine sein:

Als Musterbeispiel für ein sehr armes, aber hoffnungsvolles afrikanisches Land, in dem viele Ethnien und Religionen weitgehend friedlich miteinander leben und das - wohl auch aus diesem Grund - von westlichen Regierungen besonders unterstützt und gefördert wird, gilt seit Jahren Burkina Faso.

Hier nur einige Stichworte und Kennzahlen:

Seit 1960 von Frankreich unabhängig, bis 1984 unter dem Namen Obervolta, 19 Mio. Einwohner, Binnenstaat ohne Zugang zum Meer, schwache Infrastruktur, z.T. Savanne, z.T. Sahelzone, eines der ärmsten Länder der Erde, 68 regionale Sprachen, Geburtenrate 5,9, Lebenserwartung 55 Jahre, Subventionen: 3,4 Mrd. US Dollar/J aus den USA, 0,7 Mrd. EUR/J aus der EU, Alphabetisierung 25 % - bei Männern jedoch höher als bei Frauen, Anzahl Schüler pro Klasse bis zu 120, Kunsthandwerk mit Keramik und Bronze, Musik, panafrikanisches Filmfestival FESPACO seit 1979 alle 2 Jahre.

2010 - 2012 Planung und Bau einer Operndorf-Schule mit Klinik und späterem Opernhaus nahe der Hauptstadt Ouagadougou durch den leider bereits im Jahr 2010 verstorbenen Theaterregisseur Christoph Schlingensief in Zusammenarbeit mit dem Architekten Francis Kéré, der in München und Berlin Architektur studierte.

F. K. wurde 2013 eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt a.M. gewidmet. Eine weitere Ausstellung zu seinen Arbeiten findet zur Zeit - bis zum 26/02/2017 - in der Pinakothek der Moderne, München in Zusammenarbeit mit der dortigen Technischen Universität statt.

Spezialität von Francis Kéré sind Schul-, Klinik- und Kulturbauten unter weitgehender Verwendung einheimischer Baustoffe, wie zum Beispiel Lehm, der mit Zement, Sand und Kies angereichert, einen auch bei Regengüssen ausreichend dauerhaften Baustoff liefert. Eine ausgeklügelte natürliche Belüftung seiner Schulbauten sorgt für Klimatisierung. Ein besonderes Anliegen ist für F. K. die soziale Ausrichtung seiner Projekte, insbesondere die Einbindung der lokalen Bevölkerung durch praktisches, gemeinschaftliches Arbeiten. 2012 hat Kéré hierfür den Global Holcim Award for Sustainable Construction erhalten und bereits 2004 den Aga Khan Award für Architektur.

Wie schrieb kürzlich Gerhard Matzig in der SZ über Kéré und seine Arbeit:

Man begreift plötzlich, warum Architektur die älteste und vielleicht auch größte Kunst der Menschheit ist.

Möge dieser Brückenschlag nach Afrika zu weiteren Engagements führen. Mit Pionieren wie Francis Kéré könnte dies wohl gelingen.


November 2016

Farbenspiele

Der Wald lädt ein zu seinem alljährlichen Indian Summer Festival, das abgekühlte Sonnenlicht lässt die gelben und roten Farben von Ahörnern und Buchen zu einem grandiosen Finale aufleuchten. Eicheln und Kastanien prasseln zu Boden, Nebel in den Wiesen, wassertropfige Spinnweben. Höchste Zeit zu ernten: Saftige Äpfel, schwere Trauben, reife Kürbisse. Welche Jahreszeit hat mehr zu bieten?

Ist aber nicht auch eine gehörige Portion Melancholie dabei, wie Rainer Maria Rilke sie beschreibt in seinem Gedicht vom Herbsttag, dessen Anfang lautet: Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß …?

Ach nein, hat doch sogar der kommende Winter seine besonderen Schönheiten: Wollmütze, Herdfeuer, Bratäpfel, das stille Licht der Straßenlaternen, der nahende Advent. Und dann die Höhepunkte des Jahres: Christi Geburt und Neujahr.

Bald schon der nächste Frühling mit der höher steigenden Sonne, ersten Blüten und Blättern, heimkehrenden Zugvögeln, ausschlüpfenden Insekten und taghellen Osterfeuern. Mensch und Natur feiern Auferstehung.

Danach der Sommer mit gleißendem Sonnenlicht und blauschwarzen Regenwolken, donnernden Wolkentürmen und Lichtblitzen. Doch am nächsten Tag schon wieder lichtgrüne und gelbbraune Kornfelder, deren Halme sich sanft im Winde wiegen. Die Tierwelt ist jetzt mit der Brutpflege so beschäftigt, dass sie mit der Futterbeschaffung kaum nachkommt. Aber eine neue Generation wächst heran.

Ist es ein Kreislauf oder eine sich in die Höhe windende Helix, die das Vergangene Schritt für Schritt hinter sich lässt und nach vorn klare Sicht bietet? Erstaunlich ist das Wechselspiel der Jahreszeiten mit ständiger Veränderung und manch neuer Entdeckung, eingestreut in die endlos scheinende Zeitschleife.

Nein, der Herbst ist mit seinem imposanten Szenario eine ganz besondere Jahreszeit, vielleicht sogar die beste, da er die Keimzelle für das Neue bereits mit sich führt.

Ich erinnere mich an ein Gedicht, das ich vor Jahren auf der Titelseite einer Zeitung fand:
Es ist wieder Laubkonzert – in Braun spielt das Orchester – dazwischen tönt es Gelb und Rot – eine Wolke tuscht in Not – ich zieh die Jacke fester“.

.... knapp aber treffend formuliert für die Farbenspiele des Herbstes und ein brauchbarer Rat für die kälteren Tage.

 

Oktober 2016

Kunst und Technik

Das Auffinden geeigneter Materialien und Werkzeuge zur Anfertigung von Gebrauchsgegenständen ist eng verbunden mit der Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Dass hier zunächst nur sehr praxisorientierte Fähigkeiten, die das Überleben sicherten, eine Rolle spielten, liegt auf der Hand und wird im Paläon, Schöningen bei Braunschweig mit den Schöninger Speeren anschaulich dargelegt. Diese hervorragend erhaltenen Werkzeuge und Jagdwaffen sind etwa 300.000 Jahre alt und gelten in der Wissenschaft als Weltsensation.

War es nun Muße, das Spiel mit Versuch und Irrtum oder die Gabe über das Materielle hinaus schöpferisch tätig zu werden und neuen Formen, zum Beispiel als Schmuck, eine Bedeutung zu geben? Das alles mag eine Rolle gespielt haben auf dem Weg von der Höhle über den Bau von Pyramiden und griechischen Tempeln bis hin zu den Pfeilern der Gotik und dem Bauhaus von Weimar und Dessau. Und natürlich ist vor allem die klassische Baukunst auf das Engste verbunden mit der ihr zugrunde liegenden Handwerkstechnik.

Schauen wir in die Renaissance, so sehen wir, dass Künstler wie Leonardo da Vinci in einer Person Maler, Architekt, Bildhauer, Mediziner und Ingenieur waren. Heute würden wir von Leonardo sagen: Ein extrem kreativer Typ, der Kopf und Hand gleichermaßen zu gebrauchen wusste.

Natürlich gibt es auch deutlich abweichende Ausprägungen. Als Beispiel mag Johann Wolfgang von Goethe dienen, der sich sowohl auf die Schreibkunst, auf Theater und Philosophie als auch auf die Naturwissenschaft verlegte. Im Faust lässt er Mephisto bekanntlich sagen: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum. Ein deutlicher Hinweis, dass Leben mehr ist als Theorie, nämlich farbig. Tatsächlich hat sich JWG ja auch erfolgreich mit der Farbenlehre beschäftigt und sein bekanntes Werk unter dem gleichen Namen publiziert. JWG war zweifellos auch ein begabter Naturforscher und hat sich darüber hinaus intensiv mit Landwirtschaft und Bergbau befasst. Von einer engeren Bindung zur Technik ist bei JWG allerdings nichts bekannt.

Durch die Tagespresse ging kürzlich ein interessanter Bericht über Jürgen Uedelhoven, München: In Bayreuth sollte Richard Wagners Siegfried aufgeführt werden. Der zuständige Bühnenbildner benötigte dabei die monumentalen Köpfe von Marx, Lenin, Stalin und Mao, um eine Art von Mount Rushmore darzustellen, der im Original allerdings die in Fels gehauenen US-Präsidenten Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln zeigt. Uedelhoven, der sich bis dato hauptsächlich mit Modellbau von Kfz-Prototypen befasst hatte, erhielt den Auftrag und setzte Kunststoffe sowie modernste Computer- und Prozesstechnik ein, um die gewünschten Skulpturen termingerecht herzustellen. Man mag darüber streiten, ob es sich hierbei um Kunst oder um bloße Showeffekte handelte. In jedem Fall wurden dem Zuschauer dank moderner Technik ganz besondere Illusionen vermittelt.

Als letztes Beispiel mag Christo dienen, dessen große Installationen mit farbigen Kunststoffbahnen, egal ob am Lago d´Iseo, in New York oder Berlin, ohne ausgeprägte Material- und Ausführungstechnik undenkbar wären.

Wenn man sich nun fragt, ob die künstlerische Idee oder deren Ausführung wichtiger sei, kann diese Frage schnell beantwortet werden: Die Frage ist müßig, denn beides ist gleichermaßen wichtig. Was wäre eine Idee ohne konkreten Nachweis der Brauchbarkeit und was ein Kunstwerk, dessen grundlegende Idee nicht zu erkennen oder wenigstens zu erahnen wäre?

 

September 2016

Der politische Künstler

Da sage noch einer, mit Kunst ließe sich keine Politik machen. Dabei sind die gemeinsamen Interessen von Kunst und Politik so gering doch nicht.

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Chinese Ai Weiwei, der - von unserer Politik als Vorzeigedissident mächtig hofiert und von unseren Medien immer wieder in die Schlagzeilen gebracht - zur Zeit unter anderem als Kunstprofessor in Berlin tätig ist. Zweifellos mit abenteuerlicher Vita: 1981 bis 1993 in New York als Gärtner, Babysitter, Bauarbeiter und Pokerspieler. Aus seiner Bruchbude an der Lower East Side soll er mit Luxuskarossen zum Pokern abgeholt worden sein. Seine Familie stand den Machteliten der chinesischen Arbeiterpartei nahe. 2007 Documenta Kassel, 2008 Entwurfsbeteiligung am Pekinger Olympiastadion. Die Menschenrechtssituation in China sei seiner Meinung nach deprimierend, dennoch vergleichsweise gut. Er wolle für China keine Revolution, sondern kontinuierliche Entwicklung - offenbar immer an der Grenze des Machbaren. In Deutschland immer gut für Kontroversen mit erheblichem Presserummel. Seine Studenten in Berlin beschäftigt er zur Zeit mit den aktuellen Flüchtlingsproblemen. Ein Mann von erstaunlicher Bärbeißigkeit, Vielseitigkeit und Cleverness.

Zur Kunst gehört heute eben auch mehr denn je die Selbstdarstellung, das Schauspiel, die Story. Was für ein Zufall, dass viele Politiker ähnlich agieren, und wie schön, dass Kunst so gesehen (fast) grenzenlos sein kann. Man muss dafür nur die richtige Brille aufsetzen.

 

August 2016

Lautmalerei

Dass der normale Mensch über fünf Sinne verfügt: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und darüber hinaus Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten manchmal noch ein sechster Sinn zugeschrieben wird, ist hinlänglich bekannt. Hinzu kommt die Fähigkeit des Normalmenschen, zu sprechen und das Gesprochene - wo immer nötig oder erwünscht - aufzuschreiben, damit Gedachtes oder Gesprochenes später wieder einmal in die Erinnerung zurück gerufen werden können.

Wenn man sich einmal näher anschaut, was so alles gesprochen oder geschrieben wird, kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass Menschen sich im Grunde recht gut unter einander verständigen können, (wobei das Verstehen allerdings häufig etwas zu kurz kommt), die Ausdrucksweise aber oft oberflächlich oder unzutreffend ist.

Zum Beispiel: Kindern wird erklärt, dass ein Hund Wauwau heißt und auch mit wau spricht. Man stelle sich doch nur einen Hund vor, der tatsächlich wau sagen würde. Bei Loriot würde das wohl heißen: Ihr Hund kann ja gar nicht sprechen.

Noch schwieriger wird es ja beim Schwein, da hier noch nicht einmal einfachste Lautmalerei in Sicht ist bzw. das durch die menschliche Nase eingezogene Grunzen mit unserem Alphabet überhaupt nicht schreibbar ist.

Auch viele andere bekannte, tägliche Geräusche können sprachlich kaum und schon gar nicht schriftlich abgebildet, sondern höchstens in mehr oder weniger brauchbarer Beschreibung umständlich erklärt werden.

Das eigentliche Problem bei der vernachlässigten Abbildung unserer Umwelt ist aber weniger die Sprache, sondern mehr noch das schablonenhafte Umsetzen unserer Sprache in Schrift mittels Alphabet, welches ja noch nicht einmal 30 Buchstaben enthält. Immerhin lassen sich mit der Sprache noch Lautstärke, Stimmlage, Betonung und Tempo variieren. Beim Schreiben wird dies schwierig und wird einer weiteren Interpretation überlassen.

Sicherlich könnten hier die aus der Musik bekannte Technik der Komposition, also Noten mit zusätzlichen Anweisungen, oder Einblicke in andere Kulturkreise mit bildhaften Schriftzeichen (Japan, China u.a.) weiterhelfen. Auch bei der bildenden Kunst könnte eine Anleihe gemacht werden, um nicht Gefahr zu laufen, uns von der realen Umgebung in einen immer weiter verfremdeten Kosmos hinein zu entwickeln. Zukünftige neue Welten (Tiefsee, Teilchenphysik, Weltraum) müssen schließlich nicht nur technisch zugänglich, sondern auch für Menschen begreifbar gemacht werden.

Dies möge zur weiteren Entwicklung einer noch jungen Kunstform expressiver Lautmalerei in Bildern und Tönen führen, unsere vorherrschende Sprache bereichern und unser doch sehr knapp gehaltenes Alphabet ergänzen.

Die Minimal Musik in den 1960er Jahren hat hier bereits Akzente gesetzt. Ihr Mitbegründer, der in New York geborene Steve Reich, erhielt 2009 den Pulitzerpreis für Musik der New Yorker Columbia University für sein Werk: Double Sextet. Auch Neil Young hat - wie er in seinem Interview Mitte 2016 bestätigte - bereits umfangreich mit Tiergeräuschen experimentiert und herausgefunden, dass Tierstimmen, z.B. von Wölfen, Blauwalen und Fröschen, in einen C-Dur Akkord hineinpassen.

Über Malerei zu diesem Thema ist bisher allerdings nichts bekannt.

 

Juli 2016

Piraten gestern, heute, morgen

Piraten, Korsaren, Seeräuber, Likedeeler, Vitalienbrüder, Freibeuter - ihre Bezeichnungen sind vielfältig, aber es gibt nur wenige Berichte über ihr tatsächliches Wirken im Lauf der Geschichte.

Ein klareres Bild liefert nun die Ausstellung: Gefahr auf See - Piraten in der Antike. Sie läuft bis zum 03/10/2016 im Museum Kalkriese bei Osnabrück. Hier wird erkennbar, dass ziviler Handel, Seeräuberei und kriegsähnliche Handlungen bereits im Altertum vielschichtig ineinander verwoben waren. Selbst der antike Held Odysseus muss bei genauerer Betrachtung der Kategorie Seeräuberei zugeordnet werden, wie die folgende Textstelle aus Homers Odyssee belegt: „Da verheerte ich die Stadt und würgte die Männer. Aber die jungen Weiber und Schätze teilten wir alle gleich, dass keiner leer von der Beute ausging.“

Nun denn: Auch die viel späteren Wikinger waren bekanntlich keine Waisenknaben, trieben sie doch praktisch gleichzeitig Handel und verübten Raubzüge. Die bekannten, vornehmlich aus Europa kommenden Helden der Karibik verlagerten sich sogar noch stärker auf die Räuberei, allen voran Francis Drake, der als Auftragnehmer des englischen Königshauses Gold aus der Karibik klaute. Nach ähnlichem Strickmuster auch Klaus Störtebeker und seine Mitstreiter, die als Quasi-Marine in den Diensten der Mecklenburger Herzöge auf der Ostsee unterwegs waren.

Abenteuerlust und Hoffnung auf ein besseres Leben und schnellen Reichtum befeuern auch heute den Drang junger Männer, aus einem oftmals wenig verheißungsvollen Alltag in die Anarchie auszubrechen. Dies zeigte sich in jüngster Zeit nicht allein an den Küsten Ostafrikas, sondern ebenso am Golf von Aden und in der Straße von Malakka.

Mag die klassische Seeräuberei auf Grund moderner Sicherungssysteme auch auf dem Rückzug sein, der moderne Seeräuber fischt wind-, wetter- und wasserfrei im Datennetz und fällt auf Grund von bedrohlichen Sitzfleischanreicherungen und Adipositasproblemen zunehmend den Sozialversicherungen zur Last.

Man erkennt also leicht: Die vorhandenen Probleme verlagern sich zwar und wechseln dabei vielleicht die Farbe, nicht aber ihren Charakter. Schöne neue Welt.

 

Juni 2016

Kunst und Mode mit Kalaschnikow

Das Sturmgewehr Kalaschnikow gilt als Klassiker bewährter Waffentechnik. Es wird seit 1947 in Russland produziert und wurde seitdem immer wieder technisch verbessert. Etwa 100 Millionen Stück wurden bisher weltweit verkauft.

Seit dem Handelsembargo auf Grund des Ukraine-Konflikts wird die Waffe allerdings nicht mehr in die USA exportiert. Dies hat bei dem Hersteller zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen und einer neuen Geschäftspolitik geführt:

Denn: der russische Mann und Patriot trägt heute Kalaschnikow als Marke auf T-Shirts und anderen Modeartikeln. 50 Läden sollen unter diesem Label bis Ende 2016 in Russland eröffnet werden. Der italienische Designer Antonio Riello hat Kalaschnikows in Pink und Hellgrün bereits als Kunstwerke präsentiert.

Na bitte, die Kanonen segelnder Kriegs- und Handelsschiffe vor einigen hundert Jahren waren schließlich auch mit Delphinen und anderen Motiven verziert, da liegt die künstlerische Bearbeitung von Kalaschnikows doch geradezu auf der Hand.

Wie sagte Edward III von England?

Honi soit, qui mal y pense - ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

 

Mai 2016

Zement, nun auch alternativ und biodynamisch

Der allseits bekannte Baustoff Zement wird üblicherweise in großen Industrieanlagen hergestellt. Biologen sollen nun im Südwesten von Niedersachsen eine Art von Naturzement entdeckt haben, welche die bislang übliche Zementproduktion auf den Kopf stellen könnte.

Wie wir weiter erfuhren, sollen die neuen Vorkommen unter dem Namen

Osnabrücker Zemente

in den nächsten Wochen in der Fachwelt vorgestellt und diskutiert werden. Umwelt- und Naturfreunde erhoffen sich jedoch bereits heute eine biodynamisch basierte Alternative zu den bislang bekannten Zementen. Als besonders interessant wird dabei angesehen, dass die enormen CO2-Emissionen bei der bisherigen Zementherstellung praktisch auf Null zurückgefahren werden können. Dem Vernehmen nach soll auch bei den neuartigen Zementen die richtige Menge an Wasser - bekannt als Anmachwasser - eine entscheidende Rolle spielen. Probekörper wurden bereits in einem Speziallabor für Bindemittel hergestellt und untersucht.

Über die Ergebnisse werden wir exklusiv weiter berichten

Richtigstellung

Unter Bezug auf Ihre Kurznachricht teilen wir Ihnen mit, dass es sich nicht um einen Baustoff sondern um eine Tierart handelt, nämlich die

Osnabrücker ZemEnte©

Sie wird in limitierter Auflage unter Verwendung von Zement hergestellt. Die Bezeichnung als ZemEnte© verweist dabei lediglich auf ihre Materialbasis: Zement. Trotz der bekannten Vorliebe dieser Tierart für eine möglichst wasserreiche Umgebung gelten die bisherigen Grenzwerte für Anmachwasser bei der Herstellung von Mörtel und Beton.

Wir bitten, den aufgetretenen Druckfehler zu entschuldigen.

Anmerkung:
Diese fiktive Zeitungsente wurde für Tips und Clips aufbereitet. Sie steht für die zunehmenden Kommunikationsmängel, Irrläufer und Falschmeldungen, die uns tagtäglich begleiten.

 

April 2016

Cabo Verde, ein afrikanischer Traum

Zweifellos gehören die Inseln des Archipels von Cabo Verde zu Afrika, auch wenn das Land - etwa 500 km westlich vom Senegal entfernt - weit in der offenen See liegt . Die 9 bewohnten Inseln liegen in einem Seegebiet von etwa 250 x 300 km und sind heutzutage hauptsächlich mit dem Flugzeug zu erreichen. Kreuzfahrer laufen hin und wieder Mindelo auf São Vicente an, den einzigen Tiefwasserhafen der Inselgruppe. Ein Besuch in Cabo Verde lohnt sich aus vielerlei Gründen: Die Inseln bilden eine besondere Schnittstelle zwischen den 3 Kontinenten Europa, Amerika und Afrika. Sie sind Fundort vielfältiger Kulturen und lebendiger Beweis für die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenwachsens verschiedener Völker. Hier finden sich Hinweise, dass ein afrikanischer Traum die Chance hat, Wirklichkeit zu werden.

Den heute in Cabo Verde vorherrschenden Menschenschlag nennt man Kreolisch. Die Leute sind - ähnlich wie in der Karibik - von heiterer Grundstimmung, obwohl ihre Geschichte in weiten Teilen durchaus als tragisch zu bezeichnen ist. International bekannt geworden ist die kapverdianische Musik, die unter anderem von Künstlern, wie der inzwischen leider verstorbenen Sängerin Cesária Évora, geprägt wurde. Ein besonderes Kapitel von Cabo Verde ist die Seefahrt und alles, was damit zusammenhängt. Alte Seefahrer, wie Christoph Kolumbus haben sich hier auf ihrem Weg in die Karibik mit frischen Nahrungsmitteln versorgt. Vasco da Gama machte hier Zwischenstation auf seinem Weg nach Indien und Sir Francis Drake versorgte sich dort ebenfalls – letzterer allerdings meistens ohne Bezahlung.

Für den damals weit verbreiteten und sehr einträglichen Sklavenhandel war Cabo Verde länger als 100 Jahre einer der wichtigsten Umschlagplätze. Für Seefahrer ist die Gegend nach wie vor nicht ungefährlich: Strömungen, Stürme, vulkanische Riffe und schlechte Sicht sind schon vielen Schiffen zum Verhängnis geworden. Für Schatztaucher daher im Prinzip ein interessantes Revier, wenn die Meerestiefen von bis zu 4.500 m nur nicht so hinderlich wären.

Die junge Republik besteht seit 1975, nachdem es gelungen war, die Oberhoheit von Portugal abzustreifen. Portugiesisch ist aber nach wie vor Amtssprache. Für uns Europäer ist das angenehm warme Seeklima vor allem im Spätwinter ein Grund, unserem grauen Alltag einmal zu entkommen, das Streben nach Perfektion beiseite zu schieben und ein friedliches Volk zu bewundern, das außer dem guten Klima eigentlich nur Salzwasser, Sanddünen, vulkanischen Fels und ein wenig fruchtbaren Boden hat. Mehr als 50 % der Kap Verdianer sind irgendwo im Ausland und helfen den Verbliebenen über die Runden. Sicherlich, der Tourismus - leider auch in Form von Massentourismus - ist angesprungen und droht bereits, die herrlichen Küsten zu überwuchern. Dennoch: Das Land gehört seit 2008 nicht mehr zu den ärmsten Ländern der Erde und ist dabei, sich mehr und mehr selbst zu helfen. Und das bei einem durchschnittlichen Monatslohn von nicht einmal 300 EUR, falls man überhaupt einen Job hat. Aber die Bauwirtschaft - bedingt durch den Tourismus - boomt bereits. Das Einhalten geplanter Fertigstellungstermine spielt dabei fast keine Rolle und sogar die Hotelkette von Hilton ist auf der Insel Sal mindestens 2 Jahre im Verzug. Was soll´s, wenn selbst in Berlin und anderswo in Deutschland Bautermine platzen.

Bei einem Besuch des Landes sollte man daher das Motto wählen: Entspannt Euch und entdeckt das Land, solange so viele Ecken noch fast unberührt und zum Glück auch noch nicht leicht zu erreichen sind. Möge der Verwirklichung eines afrikanischen Traums hier weiterhin viel Erfolg beschieden sein.

 

März 2016

Arabische Wüsten

Die arabischen Wüsten werden seit dem Ölboom mit irrwitzigen Bauprojekten überzogen. Auch wenn Wasser dort eigentlich knapp ist, werden Golfplätze gebaut, die tagtäglich gewässert werden müssen. Etwas Luxus sollte schließlich schon sein.

Einmal geschah es, dass ein hierfür zuständiger Gärtner seinen Mitarbeiter beauftragte, die täglich erforderliche Bewässerung der Rasenfläche immer am späten Nachmittag durchzuführen. Wider Erwarten ging dort aber eines Tages am Nachmittag ein starker Regenguss nieder.

Entsprechend seinem Auftrag wässerte der Mann den Rasen dennoch wie gewohnt nach dem Motto: Dienst ist Dienst, mag die Situation auch noch so ungewöhnlich sein.

Aus dieser eigentlich unscheinbaren Geschichte lassen sich möglicherweise folgende Schlüsse ziehen:

Was tut der brave Befehlsempfänger, wenn es geregnet hat? Er wässert auf jeden Fall!

Was täte ein denkender Mitarbeiter? Er würde seinen Chef fragen, ob er nicht an Stelle der üblichen Bewässerung etwas Besseres tun sollte.

Was tut der selbständige Gärtner? Er legt ein Sammelbecken für zukünftige Regengüsse an, das heißt, er entschließt sich zu etwas Neuem und sieht über den berühmten Tellerrand hinaus.

Nun mag man sich fragen, was diese Geschichte mit Kunst zu tun haben soll.

Ganz einfach: Es ist der Blick über den Tellerrand.

 

Februar 2016

Kunst und Handwerk

Dass Kunst und Handwerk in vielen Bereichen ineinander verwoben sind, ist keine neue Erkenntnis. Wie sagte kürzlich ein angesehener Chemieprofessor? „Ein guter Chemiker muss zunächst einmal lernen, wie man verschiedene Stoffe zusammenrührt, um dann zu schauen, ob bzw. wie sie sich miteinander verbinden.“

Nun sollte ein Versuch, egal ob im Bereich der Wissenschaft oder der Kunst, sicherlich nicht zum wiederholten Mal wahllos durchgeführt, sondern auf der Grundlage der bis dato erreichten Ergebnisse weiterentwickelt werden.

Mit Bezug auf die Fragestellung nach Kunst und Handwerk ist das Neuartig-Innovative sicherlich eher im Bereich der Kunst, das Traditionell-Bewahrende eher im Bereich des Handwerks angesiedelt, egal ob es sich dabei um einen Teller aus Meißner Porzellan, die Eisskulptur eines unbekannten Künstlers oder ein Kirchenfenster von Gerhard Richter handelt. Eine strikte Trennung von Kunst und Handwerk erscheint daher nicht zielführend, da beides sich auf höchst natürliche Weise ergänzt. Dass sich hierbei Stellenwerte und Marken herausbilden, durch besondere Aktionen unterstützt und manchmal auch manipuliert werden, gehört auch im Kunstbetrieb dazu. Wie sagte schon der Volksmund? Klappern gehört zum Handwerk, und man möchte ergänzen: Zum wirtschaftlichen Überleben auch. Man möge daher eher auf die Qualität eines Stückes schauen. Auch diese ist ja nicht eindeutig messbar. Wird sie doch von Zeitgeist, Mode und persönlichem Geschmack mitbestimmt, und auch eine statistische Auswertung hin zur vielfach geschmähten Quote würde kaum weiterhelfen. Messbar wäre aber immerhin die Anzahl der gefertigten Stücke - vom Unikat über die limitierte Auflage bis hin zum Massenangebot. Auch der Grad an Innovation und die Idee und der Mut zu etwas grundsätzlich Neuem lassen sich zumindest qualitativ erfassen.

All dies lässt sich nicht auf einzelne Fachgebiete beschränken, man denke hierbei keineswegs allein an Malerei und Plastik. Ebenso beteiligt sind die Bereiche der Baukunst, Schreibkunst, Redekunst, Dichtkunst, Spielkunst, Gesangskunst, Filmkunst, Fotokunst und so fort.

Eine Ausstellung im Westfälischen Kunstverein in Münster: „Para/Fotografie, Abbild und Abstraktion“ zeigte im vergangenen Jahr neue Möglichkeiten der Fotokunst von Michael Part und Artie Vierkant, wobei Part sich der Fotochemie bedient, um neuartige Bilder zu schaffen, Vierkant dagegen verwendet digital entworfene, dreidimensional wirkende Formen. Kunst und Handwerk - auch in diesem Fall keine Gegensätze sondern Partner, die sich auf kluge Weise ergänzen.

 

Januar 2016

Zirkus zum Jahreswechsel

Zirkus ist in der Stadt: Roncalli. Plakate an fast jeder Straßenecke. Erinnerungen an Kinder- und Jugendtage: Zirkus Krone auf dem Heiligengeistfeld, Kalanag, Hansa Theater. Das wäre doch wieder einmal etwas Besonderes so zu Silvester. Nichts wie hin und zwei Tickets für die Nachmittagsvorstellung gekauft. Danach kann man ja noch etwas essen und ein Bierchen trinken. Ja, es gibt für nachmittags noch Karten. Wohin geht ihr denn demnächst? 2 Monate Winterquartier in Köln. Ab März Recklinghausen. Fahren Sie mit? Ja, ich gehöre dazu und fahre mit. OK, dann bis heute Nachmittag. Kurz vor 3 Uhr nachmittags Ankunft. Herzliche Begrüßung durch das Personal und die „Bordkapelle“. Beginn um Punkt 15 Uhr. Zu Beginn und zur Einstimmung gleich das herzerwärmende Lied vom Weg nach Bethlehem: El camino que lleva a Belen - ro po pon pon. Dann eine Menge Artistik, Varieté und Tierschau mit weißen und schwarzen Pferden, einer doppelten Hundestaffel, einem Zauberer (der darf auf keinen Fall fehlen) und Clowns (dürfen auch nicht fehlen). Mit anderen Worten: Imagination und Spitzenleistung auf´s Feinste. Ein wenig angelehnt an den Cirque du Soleil, aber man ist doch viel näher dran, trotz der fast 1500 Besucher im Zirkuszelt. Auf jeden Fall ohne den Tiger, der früher häufig durch den Feuerring springen musste oder den angeketteten Braunbären.

Ja, das war tatsächlich etwas sehr Besonderes und machte richtig Durst auf ein kühles Helles im Rampendahl.

 

Dezember 2015

Literaturnobelpreis 2015

Die Journalistin und Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch - Literaturnobelpreisträgerin 2015 - hatte bereits 2013 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Sie gilt als bedeutende Stimme der Leidenden und Mutigen in vielen umkämpften Konfliktgebieten, in denen Menschenrechte wenig Bedeutung haben. In Ihrer Dankesrede in Frankfurt 2013 sagte sie über die Kunst:

Im Menschen und im menschlichen Leben gibt es vieles, worüber die Kunst noch nie gesprochen hat und wovon sie auch (bisher) nichts ahnt. Das alles blitzt nur kurz auf und verschwindet, und heute verschwindet es besonders schnell.“

Dieser Gedanke ist wohl mehr als nur die Spitze eines Eisbergs. Er erinnert an die Arbeiten mit dem Teilchenbeschleuniger CERN in Genf, wo die gesuchten Ergebnisse nur Bruchteile von Sekunden existieren. Oder die Mission der Weltraumsonde Rosetta, die bereits seit 2004 unterwegs ist und 2015 sensationelle Daten gesendet hat, welche die Entstehung der Welt erklären helfen. Hier mag die Wissenschaft der Kunst vielleicht völlig neue Wege aufzeigen.

Neben dem Literaturnobelpreis an sich ist die Vorgeschichte dazu von hohem Interesse:

Elisabeth Ruge Lektorin, Verlegerin, Literaturagentin (und nebenbei Tochter des Journalisten Gerd Ruge) förderte Swetlana Alexijewitsch bereits frühzeitig, gab die deutsche Übersetzung ihrer Arbeiten in Auftrag und bewies hier zum wiederholten Mal ihr Gespür für große Literatur. In einem Interview im November 2015 befragt, wie man solche Literatur entdeckt und - auch gegen Widerstände - auf den Markt bringt, erklärt sie den Stil eines Textes als entscheidendes Merkmal und betont, dass dieser allerdings mit Geschmack und Intuition eng verbunden sei.

Ein genauerer Lösungsansatz ist kaum möglich, und vieles bleibt daher im Ungefähren. Die Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung dauert also erfreulicherweise an.

Elisabeth Ruge merkt weiter an:

"Viele interessante Bücher werden abgelehnt, weil man vor allem /more of the same/ möchte und die Marketingleute in den Verlagen die Lektoren überstimmen. Man muss aber einen Dreh finden und den Leuten zu verstehen geben, warum ein Buch vielleicht schwierig aber wichtig ist und wie sich das nach außen tragen lässt. Das ist von Buch zu Buch unterschiedlich.“

Auf die Frage, wie oft man derartige Juwele der Literatur wohl aufspüren kann, erwidert sie:

Man kommt (im Leben) vielleicht auf ein oder zwei Dutzend solcher Bücher. Sie zu entdecken hat schon etwas von einem magischen Moment.“

Literatur und bildende Kunst liegen bei diesen Aussagen über den Literaturnobelpreis 2015 offenbar nah bei einander.

 

November 2015

It´s time folks

Das ist zusammen mit der Anordnung: Last order! der obligatorische Hinweis in irischen Pubs, dass der Laden bald schließen möchte.

Nun ist es ja auch eine alte Volksweisheit, dass man rechtzeitig aufhören soll, bevor die Dinge außer Kontrolle geraten oder sonst wie nicht mehr schön sind.

Ein schlechtes Beispiel geben manche Serien im Fernsehen. Da helfen selbst gute Schauspieler nicht mehr. Noch grausliger sind anhaltende Serien mit weniger guten Schauspielern. Dagegen ist es geradezu erbaulich, das eine Mal im Jahr – nämlich zu Silvester – Freddie Frinton mit seinem Sketch Dinner for One zu erleben.

Gelungene Beispiele gibt es allerdings auch:

Der Kochkünstler Ferran Adriá, der sein Promi-Restaurant El Bulli an der Costa Brava für einige Jahre sausen ließ oder der belgische Top-Modedesigner Raf Simons, der seine Arbeit nach drei höchst erfolgreichen Jahren bei Dior in Paris kürzlich beendete, um sich auf seine eigene kleinere Linie in Belgien zu konzentrieren. Sein Kommentar: Es sei höchste Zeit, das Leben in Antwerpen dem Hochleistungsbetrieb in Paris vorzuziehen, das Burnout-Risiko sei auf Dauer zu hoch.

Nein, auf Authentisches, neuartig Überraschendes oder wenigstens ein bisschen Originelles gibt es zum Glück kein Abo. Also nimmt man rechtzeitig eine Auszeit oder wechselt den Standort, um keine Langeweile aufkommen zu lassen: It´s time folks.

 

Oktober 2015

Kunst und Marketing

Der leider kürzlich verstorbene Literaturkritiker Hellmuth Karasek hat noch wenige Wochen vor seinem Ableben den aktuellen IKEA-Katalog wie einen Roman vorgestellt und rezensiert. Selbst wenn man den nun unter YouTube ins Netz gestellten Videoclip sicherlich als PR-Gag einordnen muss, ist nicht zu verkennen, dass die zu Grunde liegende Idee überraschend und genial ist, nämlich das Genre der eintönig massenhaften Commercials zu verbinden mit individueller Kunstkritik.

Der Clip hat das Zeug ebenso zu einem Klassiker aufzusteigen wie Loriots: /Sie lassen sofort die Ente zu Wasser/ oder Reich-Ranickis: /Ich nehme diesen Preis nicht an/.

Von dieser Sorte hintergründigen Humors möchte man sich auch für das Gebiet der bildenden Künste mehr wünschen. Schließlich leben ja auch sie von der Aufmerksamkeit des Publikums, und die lässt sich nicht allein durch zur Schau gestellte Eitelkeiten und weitläufige Fachsimpeleien anregen.

 

September 2015

Das aktuelle Stammtischgespräch

Wer hat die Himmelsscheibe von Nebra hergestellt? Wer war der Gletschermann Ötzi vom Tisenjoch wirklich? Hat Columbus tatsächlich Zeit seines Lebens geglaubt, er habe den kurzen Seeweg nach Indien entdeckt? Warum hat Friedrich Schiller seinen Glockenguß mit Fichtenholz und nicht (technisch besser) mit Eiche oder Buche befeuert? Kommt das Gold aus dem Weltraum? Soll der deutsche Steuerzahler weiter für die Zustände in Griechenland aufkommen? Wie können wir die massenhaften Flüchtlingsströme regulieren? Wird es zukünftig Designer-Babies bei Amazon geben? Welche Entdeckung wird auf das Higgs-Teilchen folgen?

Ja, das sind Fragen, mit denen sich die Menschheit auseinandersetzen musste und muss.

Da erscheint doch die Frage, was eigentlich Kunst sei und was sie soll, als geradezu läppisch.

Ich geh´ dann mal in den Baumarkt oder zu IKEA, da gibt es haufenweise Kunst – oder so etwas ähnliches – und das ganz preisgünstig. Das häng´ ich mir dann hin, passend zu meiner neuen Tapete und der Couchgarnitur.

Ich bin doch nicht blöd und schon gar nicht Onassis *)!

*) ehem. griechischer Tankerkönig und Milliardär

 

August 2015

Um im Bild zu bleiben ...

Wenn man sagt: Ich möchte mir davon einmal ein Bild machen, dann meint man nicht, dass man eines malen möchte, sondern man möchte wohl eher eine genauere Vorstellung von etwas gewinnen, und dann entscheiden, ob man eine Sache oder eine Idee weiterverfolgt oder zu den Akten legt. Es geht hier also um das Bild, welches gedanklich im Kopf entsteht und weitere Impulse auslöst. Ebenso kann eine Landschaft, eine Fotografie oder ein gemaltes Bild solche Impulse auslösen. In diesem Fall geht es dann sozusagen um ein Bild vom Bild. Um aber im Bild zu bleiben, muss hier die bekannte Redensart: „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ erwähnt werden.

Diese Feststellung hat sicher ihre Berechtigung, denn wir werden ja nicht von Worten sondern von Bildern gesteuert, egal ob sie vor unserem körperlichen oder geistigen Auge entstehen. Bilder lösen Reize aus und haben Erinnerungswert. Dies machen sich nicht nur Boulevardblätter, welche die Bedeutung des Bildes sogar noch mit ihrem Namen unterstreichen, zu Nutze, sondern auch bereits seit etlichen Jahren seriösere Qualitätsblätter, hinter denen sich kluge Köpfe versammeln. Neudeutsch verwendet man für das auf der Titelseite vorangestellte Bild den schönen Ausdruck: Eyecatcher, also einen, der das Auge in den Griff nimmt.

Für die bildende Kunst gilt Ähnliches wie für den Eyecatcher einer Zeitung: Sie muss Emotionen auslösen. Ein Bild ohne Ausstrahlung und Aussagekraft gilt als langweilig und überflüssig und landet meistens im Müll, wenn es nicht gerade als bloße Dekoration oder als Lückenbüßer an irgendeine Wand gehängt wird. Kunst kann nicht oder nicht vollständig erklärt werden. Das ist ja auch der Grund, sich immer wieder mit ihr zu beschäftigen. Gerhard Richter hat den Charakter von Malerei sogar einmal so beschrieben: „Über Malerei reden, das hat keinen Sinn. Indem man mit der Sprache etwas vermittelt, verändert man es. Man konstruiert solche Eigenschaften, die gesprochen werden können und unterschlägt die, die nicht ausgesprochen werden können, die aber die wichtigsten sind.“*)

Die Schnittmenge zwischen bildender und schreibender Kunst ist also offensichtlich begrenzt, auch wenn die Flut gesprochener und geschriebener Traktate über bildende Kunst einen anderen Eindruck vermittelt. Einen guten Wein sollte man auch besser durch Trinken genießen und die Poesie darüber in Grenzen halten. Dem guten Gefühl des Kenners wird dies keinen Abbruch tun.

*) Gerhard Richter, Schriften, Interviews, Briefe, S.35, Verlag Walter König, Köln

 

Juli 2015

Der geschenkte Gaul

„That´s a funny colour for a horse“ soll die britische Queen Elisabeth II. angemerkt haben als sie anlässlich ihres Besuchs am Amtsitz unseres Bundespräsidenten im Juni 2015 ein Gemälde überreicht bekam, welches ein blaues Pony mit einem kleinen Mädchen obendrauf zeigt. Es wird geführt von einem Herrn mit Sportmütze.

„Soll das mein Vater sein?“ soll die Queen gefragt haben.

Darauf Ihr Gemahl Prinz Philip: „Erkennst Du ihn denn nicht?“

Darauf die Queen: „Not quite“.

Unserem erkennbar verblüfften Bundespräsidenten Joachim Gauck blieb als Ausweg nur die Bemerkung: „Wenn Sie es nicht mögen, nehmen Sie einfach das Lübecker Marzipan.“

War das ein Sketch von Loriot oder eine Persiflage von Peter Ustinov? Jedenfalls eine - wenn auch unbeabsichtigte - Erweiterung der Rubrik Kunst und Komik.

 

Juni 2015

Neue Teilchen in der Schweiz entdeckt

Nicht nur das Higgs-Teilchen wurde in der Schweiz entdeckt. Nun hat ein Forscherteam auch herausgefunden, dass Heu-Teilchen eine wichtige Rolle spielen. Sie sollen nämlich für die Lochgröße und -anzahl im Schweizer Käse verantwortlich sein. Während die kleinen Partikel beim Melken per Hand in der Scheune auf natürliche Weise in die Milch gelangten und die Blasenbildung anregten, hatten sich die Löcher beim Einsatz geschlossenener Melkanlagen dramatisch verringert. Man will die Partikel nun als Additiv in die Milch geben, um die gewohnten Ergebnisse wieder zu erreichen.

Was das mit Kunst zu tun hat?

Nun, Käse und Wein gelten als Genüsse der besonderen Art und werden zusammen mit der bildenden Kunst zu einem nahezu unschlagbaren Trio. Daher war es schon wichtig, auch die Käsequalität auf hohem Niveau zu halten. Also dann: Grüezi!

 

Mai 2015

Wim Wenders

Zu Ehren des Filmemachers Wim Wenders ("Das Salz der Erde", "Buena Vista Social Club" u.v.m.), der am 14. August seinen 70sten Geburtstag begehen wird, richtet das Museum Kunstpalast in Düsseldorf bis zum 16. August 2015 eine Fotoausstellung aus: "Wim Wenders Landschaften, Photographien".

In "Texte und Interviews", Hrsg. D. Bickermann, sagt Wenders über seinen Werdegang: "Was ich mit Macht werden wollte, war Maler. Und wenn mich Bilder wirklich beeindruckt und beeinflusst haben, dann waren das Vermeer und Rembrandt, holländische Landschaftsmaler, später Klee und Kandinsky und Beckmann, noch später Edward Hopper und andere. Als der Filmemacher, der ich dann auf Umwegen geworden bin, und schließlich auch als Photograph, verdanke ich der Geschichte der Malerei unendlich viel mehr als der Filmgeschichte und auch der Photogeschichte. Vielleicht will ich deswegen mit meinen Bildern etwas bewirken, was eigentlich in der Malerei seinen Anfang genommen hat."

 

April 2015

"Das Gift des Geldes droht den Geist der Satire zu zersetzen" (FAZ, 14.04.2015, Seite 13)

Auch wenn es hier zunächst um die Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" geht, könnte die Überschrift sinngemäß auch für den abgehoben-exzessiven Kunstbetrieb zutreffen.

Hier ein Beispiel von vielen:

Das Bild "The Ring (Engagement)" von Roy Lichtenstein wurde von Sotheby´s auf über 50 Millionen Dollar geschätzt.

Dabei lag der Kaufpreis im Jahr 1997 noch bei 2 Millionen Dollar.

"Droht nun das Gift des Geldes auch den Geist der Kunst zu zersetzen?"

 

März 2015

Die Kunstmesse IMPULSE am 21.-22.02.2015 in Osnabrück

DigustaArtInfo war auf der Kunstmesse IMPULSE am Stand 55 vertreten. Wir wollten im Rahmen unserer Beratungstätigkeit für das Kunstmarketing einmal wissen, wie die Besucher sich zu einer Bewertung mehrerer von uns ausgewählter Bilder stellen würden und wie das Ergebnis einer solchen Bewertung wohl konkret aussehen würde.

Hierzu haben wir Interviews mit 54 verschiedenen Messebesuchern geführt, von denen dann insgesamt 162 Punkte auf 15 Bilder verteilt wurden.

Hier das Ergebnis der 6 am höchsten bewerteten Bilder:

1/ Hoger, Philomena: Porträt einer verträumt blickenden Dame

2/ Gartung, Düne 120/80: Fließende Küstenlandschaft

3/ Hoger, night & day 3: Informel verfeinert, in lebhaften Farben

4/ Hoger, enjoy: Bildnis einer strahlenden schwarzen Schönheit

5/ Hoger, glacier: Informel verfeinert, in dezent gehaltenen Farben

6/ Feser, Elbufer bei Hamburg: Klassisch spätimpressionistische Ölmalerei

Natürlich kann eine derartige Umfrage nur eine begrenzte Aussage ergeben, da die Basis mit den gewählten Bildern ja vorgegeben war und die befragten Besucher vielleicht auch nicht ausreichend repräsentativ für eine generelle Bewertung sein mochten. Dennoch kann man folgendes konstatieren:

Erstens: Die Besucher reagierten sehr positiv auf die Befragung. Es gab nicht eine einzige ablehnende Antwort. Man könnte auch sagen: Die Besucher waren interessiert, hier mit einbezogen zu werden, ihr Urteil abzugeben und zur Kommunikation aktiv beizutragen.

Zweitens: Es überrascht, dass außergewöhnliche Frauenporträts wie Philomena oder enjoy nach wie vor eine so besondere Wirkung auslösen.

Weiterhin überrascht, dass auch die harmonische Landschaftsmalerei nach wie vor gefragt ist und mit der informellen Malerei etwa gleichauf liegt.

 

Februar 2015

Markt und schöne Bilder

Ludwig Poullain, der vor einigen Tagen in hohem Alter verstorbene Vorstand der einstigen WestLB, erklärte noch kürzlich in einem Interview zum aktuellen Thema des Kunstverkaufs durch die Landesregierung NRW:

„Es ging mir nie darum, in Kunst zu investieren. Ich kaufte schöne Bilder, weil sie mir gefielen, weil ich mich an ihnen erfreute“.

Für die Siebziger des vergangenen Jahrhunderts mochte dies ein Hauptargument sein, und für die Mehrzahl der Käufer mag dies auch heute noch gelten. Aber der Markt der vergangenen zwanzig Jahre hat sich doch deutlich in Richtung Investment gedreht.

Wie schön, dass es dennoch immer wieder eine Avantgarde gibt, die experimentiert und Neues ausprobiert.

 

Januar 2015

Mensch und Hund:

Was dem Hund die Nase ist dem Menschen das Auge.

Leider gibt es noch kein Computerprogramm, das unserem Auge übersetzt, was der Hund riecht, und auch die Umkehrung vom Auge des Menschen zur Nase des Hundes wurde noch nicht realisiert.

So sind wir bis auf weiteres auf Vermutungen angewiesen.

 

Dezember 2014

Das Bild hängt schief:

In dem bekannten Sketch Loriots: "Das Bild hängt schief" gelingt es dem Besucher bedauerlicherweise nicht, zum Inhalt dieses Bildes vorzudringen, da er sich ausschließlich mit der ungewöhnlichen Art der Hängung beschäftigt.

Gerhard Richter beruhigt uns allerdings mit seiner Auffassung, dass Bilder eben eine besondere Denkweise und Hingabe erfordern.

Ob er hierbei auch an die Situation in dem besagten Sketch gedacht hat, ist allerdings nicht bekannt.

 

November 2014

Nicht völlig gleichgültig:

Bilder umgeben uns, wohin unser Auge auch schaut. Nicht nur im eigenen Heim sondern auch in Büros, Hotels und anderen öffentlichen und privaten Räumen werden Bilder gehängt. Bei manchen lässt sich sofort erkennen, was sie darstellen oder bewirken sollen. Bei anderen lässt es sich ahnen, bei manchen braucht man ziemlich lange, falls man sich überhaupt darauf näher einlassen möchte und bei manchen steht man machtlos vis-à-vis oder ist sogar empört. Aber völlig gleichgültig lässt einen so ein Bild doch eher nicht.

 

Oktober 2014

Höhlenmaler:

Schon vor 40.000, also zur Zeit der jüngeren Neandertaler, wurden Tierbilder in Frankreich und Spanien an Felswände gemalt, die als Höhlenmalerei bekannt sind.

Holzkohle, Tierblut und Eisenoxidpulver wurden dabei unter anderem verwendet. Man kann sich vorstellen, dass diese frühen Menschen damit eine bedeutende kunsthandwerkliche Entwicklungsstufe genommen hatten. Sei es, dass die Bilder zunächst nur Reflexionen auf die Umwelt waren oder aber bereits eine praktische symbolhafte Ausdrucksweise darstellten, ähnlich den frühen chinesischen und altägyptischen Schriftzeichen.

 

September 2014

Affe und Mensch:

Bei einem Kongress über modernes Bauen in Atlanta/Georgia zitierte einer der Vortragenden aus einer indischen Erzählung:

Ein Affe war auf Futtersuche, und er hatte großen Hunger. Da erblickte er auf einer Wiese eine Blume, die nicht sehr groß aber von einer wunderschönen blauen Farbe war. Er betrachtete sie, pflückte sie ab und wollte sie sich schon in den Mund stopfen. Dann aber zögerte er und sah sich die Blume noch einmal nachdenklich an. Endlich entschloss er sich, diese Blume seiner Frau zu bringen. Dies soll nach indischer Auffassung ein entscheidender Schritt in der Entwicklung zum Menschen gewesen sein.